Test: Audio Modeling SWAM Saxophones

AudioModeling SWAM Saxophones

Samples oder real? Weder noch!

Recording und Studiotechnik: Test von Audio Modeling SWAM Saxophones auf releasetime.de. review

(Copyright Audio Modeling)

Die Zeiten, als virtuelle Bläser schrecklich synthetisch klangen und beim ersten Ton als virtueller Nachbau zu erkennen waren, sind glücklicherweise lange vorbei. Heutige Sample-Libraries mit ihren unzähligen Gigabyte klingen schon recht authentisch. Der Teufel steckt allerdings im Detail:

Samples haben immer noch einige Beschränkungen im Vergleich zu echten Bläsern. Diese  will Audio Modeling mit seiner Modeling-Technik überwinden. Gelingt das? Wir haben die SWAM Saxophones von Audio Modeling ausführlich getestet!

Exkurs: Reale Bläser vs. Sample-Instrumente vs. Modeling-Instrumente

Aktuelle Sample-Libraries werden immer größer: Die Sessions Horns Pro von Native Instruments bringt 30 GB auf die Waage, die 2. Generation des Klassikers Mojo 2 Horn Section von vir2 ca. 100 GB, Toontracks aktueller Superior Drummer 3 gar 250 GB. So soll durch immer mehr Artikulationen (Spieltechniken), Velocity-Layer (Aufnahmen unterschiedlicher Dynamik-Stufen für unterschiedliche Anschlagsstärken) und Round Robins (mehrmalige Aufnahme derselben Dynamik-Stufe zur Verhinderung des berüchtigten Machin-Gun-Effektes) ein immer größeres Maß an Realismus erreicht werden.

Um das Besondere der SWAM-Saxophones (und anderer Modeling-Instrumente) klarzumachen, hier eine Erklärung, wie man traditionell Volume, Velocity, Expression und das Modulationsrad einsetzt, um Lautstärke und Timbre von samplebasierten Instrumenten zu steuern, um ein möglichst realistisches Ergebnis zu erzielen. Im Testverlauf erfahren wir dann, was bei den SWAM-Instrumenten anders ist und – soviel sei jetzt schon verraten – weshalb die SWAM-Instrumente so unglaublich realistisch klingen (sofern sie entsprechend gespielt werden).

Die Funktionsweise Sample-basierter Instrumente

Die Velocity (Anschlagsstärke) ist Teil des Notenanfangs, sie kann also nur einmal pro Note in Erscheinung treten. Die meisten samplebasierten Instrumente haben mehrere Velocity-Layers, also eigene Samples für jeden Ton mit jeder Artikulation für verschiedene Lautstärken. Die Velocity bestimmt somit, welches Sample gespielt wird. Lautere Samples haben ein anderes Timbre als leisere, ansonsten könnte man ja ein Sample nehmen und einfach entsprechend der Velocity die Lautstärke dieses einen Samples ändern. Daher bestimmt die Anschlagsstärke auch das Timbre des Tones.

Soll sich nun die Lautstärke während des Tones ändern (das ist eine elementare Spielweise von Blas- und Streichinstrumenten), so kann das nicht mit der Anschlagsstärke gesteuert werden, denn die beeinflusst ja nur den Tonanfang und die Wahl des Samples.

Die Lautstärke (CC7) und Expression (CC11) ändern nur die Lautstärke des gewähltes Samples, ohne das Timbre des Tons zu verändern. Beide sind „Continuous Controller“ (CC) und somit nicht Teil des Notenanfangs wie die Anschlagsstärke, sondern nehmen Einfluss auf den Tonverlauf. Traditionell setzt man die Lautstärke (CC7) zu Beginn eines Stückes fest und nutzt Expression (CC11) um während des Stückes und mitten im Ton Lautstärkeänderungen durchzuführen. Beide Einstellungen beeinflussen sich aber gegenseitig: Steht CC7 auf 50% und CC11 auf 60%, so hat der Ton 30% seiner vollen Lautstärke (50% von 60%). CC11 wird immer wichtiger, je langsamer das Tempo ist und je länger die Töne werden.

Bei Lautstärkeänderungen während des Tones wird nur die Lautstärke des durch die Anschlagsstärke gewählten Samples verändert, nicht aber das Sample selbst und somit auch nicht das Timbre des Tones. Hier liegt der große Nachteil von samplebasierten Instrumenten.

Um dieses Problem zu eliminieren, wurde der dynamische Cross-Fade erfunden. Instrumente mit dieser Technik verwenden das Modulationsrad, um zwischen zwei oder mehr Samples hin- und herzu blenden. Beispiel mit 2 Samples: Ist das Modulationsrad ganz unten, hört man nur Sample 1, ist es ganz oben, hört man nur Sample 2. Bei den Zwischenstellungen hört man beide Samples in veränderlichen Anteilen gemeinsam. So kann man mit der Lautstärke auch das Timbre mitten im Ton ändern. Aufgrund der zu landenden Anzahl von Samples sind solche Instrumente mit dynamischen Cross-Fades entsprechend CPU-hungrig. Ein weiteres Problem sind Phasenauslöschungen, die auftreten können, wenn zwei anschlagsdynamisch gestaffelte Samples des selben Instruments und der selben Note gemischt werden. Manch Hersteller verwendet eine ausgeklügelte Aufnahme- und Bearbeitungstechnik, um solche Phasenauslöschungen, die letzztlich einen verfärbten Klang ergeben, zu vermeiden (z. B. Die Phase-Align-Technologie von Chris Hein).

In der Praxis verwendet man häufig das Expressionpedal zur Steuerung des Lautstärkeverlaufs via Crossfade. Das Expression-Pedal ersetzt damit das Modulationsrad, welches für die Steuerung anderer Parameter frei wird, etwa des Vibratos oder Tremolos.

Insgesamt sind Expressionpedal, Modulationsrad und Pitchbender die wichtigsten Spielhilfen für ein realistisches. lebendiges Spiel von gesampelten Bläsern und Streichern.

Die Schwachpunkte herkömmlicher Bläser-Sample-Libraries im Vergleich zu realen Instrumenten liegen in den folgenden Bereichen:

1. Die Vielfalt der Tonformung wie Ansatz, Artikulationen, Ornamente… kann nur mit großem Aufwand und entsprechend hohen Anforderungen an die CPU realisiert werden. Die Samples sind von Natur aus starr, also so, wie sie eben aufgenommen wurden. Um fließende Klangverläufe zu erzielen, braucht man ein ausgefeiltes Samplemanagement und nicht zuletzt viel Übung im Umgang mit solch hoch spezialisierten Instrumenten.

2. Die Mischung verschiedener Techniken ist nicht möglich (z. B. gleichzeitig Dämpfer und Growl oder Vibrato), sofern es dafür nicht eigenständige Samples mit Effektspielweisen gibt.

3. Die kontinuierliche Veränderungen der Tonformungen außerhalb dessen, was bereits im Sample steckt, ist nicht möglich. Bei Verwendung von Expression hört man im schlimmsten Fall die Velocity-Layer als unnatürliche Lautstärkeabstufungen heraus. Cross-Fades sind teils mit Artefakten und dem oben erwähnten Phasing behaftet; bei Vibrato / Growl / Airiness / Dämpfer gibt es meist keine Zwischenstufen, sondern man schaltet diese Tonformungen per Key-Switches sprichwörtlich an oder aus. Bei echten Vibrato-Samples haben diese eine festgelegte Amplitude (Stärke des Vibratos) und Frequenz (Geschwindigkeit des Vibratos). Bei manchen Libraries kann man die Geschwindigkeit des Vibratos per Keyswitch steuern und per Modulationsrad die Stärke. Hier werden aber jeweils wieder nur die Tonhöhe des Samples in einem bestimmten Tempo und mit einer bestimmten Tonhöhe verändert; vernachlässigt werden aber die kleinen Änderungen des Timbres beim Vibrato.

Übersicht

Die SWAM-Saxophones bestehen aus vier virtuellen Instrumente (Sopran, Alt, Tenor & Bariton) und haben gerade mal eine Größe von ca. 250 MB (1/4 GB!). Zum Einsatz kommt hier nämlich eine Modeling-Technologie.

Audio Modeling verspricht mit seiner Audio-Engine namens SWAM ein virtuelles Instrument mit einem von gesampelten Instrumenten bisher nicht gekannten Maß an Kontrolle, Ausdrucksstärke, Artikulationen und Authentizität. Dennoch soll die Bedienung einfach und intuitiv sein. Sie meinen, Sie brauchen eine weitere Audio-Engine so dringend wie ein Loch im Kopf? Das war auch mein erster Gedanke. Glücklicherweise erweist sich die SWAM-Engine als äußerst praktisch und im positiven Sinne unauffällig.

Einerseits passiert sehr Vieles automatisch, andererseits hat der Nutzer enorm viele Möglichkeiten der Klangbeeinflussung. Die wohl wichtigsten und am häufigsten genutzten Parameter der Klangformung sind den typischen Controllern zugeordnet:

Die Anschlagsstärke (Velocity) bestimmt bei nicht gebunden gespielten Tönen wie zum Beispiel Staccato-Tönen den Attack. Bei gebunden gespielten Tönen bestimmt sie die Portamento-Zeit, also die Geschwindigkeit des Hinübergleitens zum nächsten Ton. Alternativ kann die Portamento-Zeit per MIDI-Learn auch einem Controller zugeordnet werden. Auch für den Attack gibt es eine Alternative, er kann auch vom Expressionpedal mitgesteuert werden, so dass laut beginnende Töne auch automatisch einen passenden Attack haben.

Mit dem Expression-Controller CC11 beziehungsweise dem Breath-Controller CC2 wird der Dynamikverlauf während der Tondauer bestimmt (also die Lautstärke bzw. der Lautstärkeverlauf nach dem durch die Anschlagsstärke gesteuerten Attack).

Das Modulationsrad bestimmt die Stärke des Vibratos und das Pitchbendrad ermöglicht gleitende Änderungen der Tonhöhe.

Der Controller CC19 steuert die Geschwindigkeit des Vibratos.

All diese Parameter können per MIDI-Learn ganz leicht anderen Reglern zugeordnet werden.

Und da es sich um ein Modeling-Instrument handelt, gibt es laut Audio Modeling auch all die genannten Probleme gesampelter Instrumente nicht. Wir sind gespannt!

Automatisch bestimmt werden die Artikulationen Staccato, Semi-Legato und Legato, und zwar anhand der Anschlagsstärke, der Zeitspanne zwischen dem Loslassen des letzten Tons, dem Anschlagen des aktuellen Tons sowie dem Intervall zwischen beiden Tönen. Das Instrument richtet sich also nach der Spielweise des Musikers und nicht umgekehrt: Der Musiker muss nicht erst die Logik des Instruments begreifen, um eine natürliche Spielweise zu erreichen.

Es gibt Presets für folgende Controller: Keyboard, Breath Controller, Wind Controller, Roli Seaboard und Roger Linn LinnStrument. Neben den fünf vorhandenen Presets können auch eigene Presets gespeichert werden.

Installation & Autorisierung

Da es sich bei den SWAM-Instrumenten von Audio Modeling um physikalisch gemodelte Instrumente handelt und nicht um unzählige Samples realer Instrumente, ist der Download wie schon erwähnt sehr klein.

Anstelle der gewohnten zig GB haben die SWAM Saxophones in der Version 2.8.4 eine Downloadgröße und einen Festplattenbedarf von deutlich unter einem GB.

Die Online-Autorizierung mittels der gekauften Seriennummer erfolgt schnell und problemlos.

Alternativ ist eine Offline-Autorisierung möglich.

Exkurs SampleModeling vs. AudioModeling

Da es einige Missverständniss bezüglich der beiden Firmen Sample Modeling und Audio Modeling gibt, hier die abschließende Stellungnahme von Audio Modeling.

Audio Modeling Srl ( https://audiomodeling.com ), is a company based in Italy, founded on

March 17, 2017 by Stefano Lucato and Emanuele Parravicini. SWAM products are

distributed by Audio Modeling Srl only now.

Sample Modeling (or even Samplemodeling) is a team composed by two individuals, Giorgio

Tommasini and Peter Siedlaczek, that produces instruments for the Kontakt platform and

also distributed the SWAM products in the past. Samplemodeling has also collaborated with

Stefano Lucato and Emanuele Parravicini providing beta-testing and feedbacks on SWAM

products. Starting from November 22nd, 2017, we – Audio Modeling – have chosen to sell

SWAM licenses directly from our website, so Samplemodeling has no more any relationships

with Audio Modeling now.

See: http://forum.samplemodeling.com/viewtopic.php?f=6&t=39594

Giorgio Tommasini has never contributed to the development of the SWAM technology,

except for some feedbacks on the generated sound, and the research and development of

some „body emulations“ for the Solo Strings instruments, which have been completely

replaced by our own starting from the version 2.0.0, and which are not, in any case, part of

the SWAM technology core. BTW: we believe that our „body emulations“ are top-quality as

well as the ones provided by Tommasini so far. We are really thankful to Mr. Giorgio

Tommasini for having started a new „era“ of modeled virtual instruments with the Stradivari

Violin and his Harmonic Alignment technology (which, BTW, we have never used in our

instruments), we wish him to succeed with his sample modeling approach.

Praxis & Klangbeispiele

Eine Anmerkung vorab: Man muss kein hervorragender Keyboarder sein, um die SWAM-Instrumente einszuspielen. Die Spieltechniken wie Vibrato-Depth, Vibrato-Rate, Growl etc., die mit Controllern wie Modulationsrad, Expressionpedal und Drehreglern gespielt werden, habe ich – hauptamtlich Gitarrist, Songwriter & Sänger – als miserabler Keyboarder meistens nicht in Echtzeit eingespielt, sondern in zusätzlichen Aufnahmedurchgängen hinzugefügt.

Zuerst einmal fühlen wir den SWAM Saxophones auf den Zahn, was Artikulationen, Velocity-Layer, Round Robins und die intuitive Bedienung angeht.

Wenn man sich ohne vorheriges Studium der ausschließlich in englischer Sprache verfügbaren Bedienungsanleitung durch das GUI klickt, stößt man neben der Bestätigung, das alles ordnungsgemäß geladen wurde, auf die Meldung, dass wir den Expression Controller bewegen sollen, um zu starten.

Nach dem Bewegen des Expressionpedals ändert sich der mittlere Bereich und zeigt Daten für Pitchbend, Velocity, Expression, Vibrato-Intensität und Vibrato-Geschwindigkeit an.

Dies sind die oben bereits erwähnten wichtigsten Parameter, die den üblicherweise vorhandenen Controllern zugeordnet sind.

Im oberen Bereich links hat der Nutzer Zugriff auf die Stimmung des Instruments und die beiden wichtigsten Reverb-Parameter Time und Mix.

Im oberen Bereich rechts kann man neben der Lautstärke und der Stereo-Position auch die Transponierung und die Pitchbend-Range einstellen.

Beim Pitchbend können die maximale Tonhöhenänderung in Halbtönen separat für das Bending aufwärts und das Bending abwärts eingestellt werden – ohne Suchen in irgendwelchen Submenüs. Vorbildlich!

Unter dem zentralen Bereich finden sich neben der Auswahl des Instrumenten-Charakters (z. B. warm oder bright) zahlreiche Einstellungen für das Fine-Tuning wie die jeweilige Stärke von Spieltechniken Growl, Flutter Tongue, Breath Noise und Key Noise (Klappengeräuschen), aber auch Humanisierung (Zufalls-Variationen der Lautstärke), womit der Attack und die Transition-Time beeinflusst werden.

So weit, so übersichtlich und intuitiv – trotz des Zugriffes auf viele Parameter.

Legato, Tenuto (non Legato), Staccato & Staccatissimo

Bei herkömmlichen Sample-Libraries gibt es – je nach Umfang der Library – verschiedene Samples für Legato und Staccato, manchmal auch Staccatissimo und Tenuto (Tenuto = halten: genaues Ausspielen der Notenlänge).

Da die SWAM Saxophones mit Physical Modeling arbeiten, sind hier unterschiedlichste Tonlängen authentisch spielbar. Hören wir uns zuerst eine einfache Legato-Phrase an. Alle Töne haben dieselbe Velocity, die Legato-Spielweise wird einfach durch Überlappen der Töne ausgelöst.

 

Hier noch einmal dasselbe Beispiel, aber die Noten sind gekürzt, so dass sie sich nicht mehr überlappen.

 

Und noch etwas kürzer, so dass es staccato klingt.

Und jetzt extrem kurz – staccatissimo.

 

Das klang einerseits noch etwas hölzern, weil die Lautstärke ganz bewusst außen vor gelassen wurde, um nur die Artikulation der Tonlängen bzw. des Legatospielens zu demonstrieren.

Andererseits waren diese Artikulationen schon recht beeindruckend. Wie klingt das erst mit Einsatz unterschiedlicher Lautstärken? Bringen wir jetzt die Velocity ins Spiel …

 

Velocity

Vom tiefsten zum höchsten Ton steigert sich die Anschlagsstärke, dann fällt sie mit den tiefer werdenden Tönen wieder ab.

 

Nanu, da ändert sich ja gar nichts an der Lautstärke?! Ach ja, richtig, denn die Velocity ist ja nur für den Attack zuständig, also für die Härte des Anblasens. Und bei nochmaligem Anhören entdeckt man hier – trotz der gleichbleibenden Lautstärke – klare Unterschiede.

Um die Lautstärke zu beeinflussen, müssen wir mit dem Expression-Pedal arbeiten oder Expression per MIDI-Learn einem anderen Controller wie zum Beispiel dem Modulationsrad zuordnen.

 

Expression

Wir nehmen dasselbe Audio-Beispiel wie zuvor, also mit der sich je nach Tonhöhe ändernden Anschlagsstärke / Velocity und ändern parallel Expression per Modwheel.

 

Und jetzt noch einmal mit Expression, aber mit gleichbleibender Anschlagsstärke (jeweils 100):

 

Die letzten drei Beispiele haben jeweils Töne verwendet, die nicht legato gespielt wurden, bei denen die MIDI-Noten sich also nicht überlappten.

Wie wirken sich Velocity und Expression bei gebunden gespielten Tönen aus?

Bei einer Legato-Phrase steuert die Anschlagsstärke (Velocity) nicht die Stärke des Anblasens (welches es beim Legato-Spiel ja nicht gibt), sondern die Portamento-Zeit:

 

Und noch einmal legato, aber mit Expression, um die Dynamik der Phrase zu steuern.

 

Für diejenigen, die sich nicht vorstellen können, was Portamento macht, habe ich die Velocity bei allen Tönen identisch auf sehr niedrig und damit die Portamento-Zeit auf sehr lang gesetzt. Das klingt in diesem Tempo (120 BPM) etwas albern, …

 

… deshalb dasselbe Beispiel noch einmal mit 60 BPM:

 

Wow, so langsam beginnen wir zu ahnen, was mit einem Instrument, das auf Physical Modeling basiert, möglich ist …

Ob es beim Vibrato ähnliche Möglichkeiten gibt? Schauen wir es uns an!

 

MIDI-Learn

Wie bereits erwähnt steuert das Modulations-Rad die Stärke des Vibratos und der Controller CC19 steuert die Geschwindigkeit des Vibratos. Auf Wunsch können die Parameter Vibrato-Depth und Vibrato-Rate über MIDI-Learn zwei beliebigen Reglern des Controller-Keyboard zugeordnet werden. Der Regelbereich aller MIDI-Controller kann unabhängig voneinander nach oben und unten begrenzt werden. Der verbleibende Bereich wird auf den gesamten Regelweg aufgeteilt, so dass bei einer Beschränkung der Controller feinfühliger kontrollierbar wird.

Die Polarität des Controllers kann umgekehrt werden, indem man einen Min-Wert wählt, der größer als der Max-Wert ist.

 

Vibrato Depth

Die Vibrato-Rate stelle ich auf 40 und lasse sie konstant, während ich die Vibrato-Depth von 0 bis 127 hochdrehe und dann wieder zurück.

 

Vibrato Rate

Jetzt lasse ich die Vibrato-Depth konstant bei 65 und drehe am Regler für Vibrato-Rate:

 

Der Regelbereich geht wieder bis in unrealistische Bereiche, deshalb im 2. Teil eine realistische Vibrato-Rate im unteren Bereich.

 

Legato-Mode

Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Legato-Technik. Die Übergangsgeschwindigkeit von einem Ton zum nächsten ist jeweils abhängig von der Anschlagsstärke des zweiten Tons. Ist der Legato Mode aktiviert, wird bis zu 4 Halbtönen ein Legato-Übergang gespielt, bei 5 bis 14 Halbtönen (also eine große None!) wird ein Legato-Run gespielt – sowohl aufwärts als auch abwärts! Ist der Legato Mode deaktiviert, wird immer ein Legato-Übergang gespielt. Auch die Geschwindigkeit dieses Übergangs kann eingestellt werden.

Das Modulationsrad bleibt in den beiden folgenden Beispielen konstant, wir konzentrieren uns auf die Legato-Übergänge und Legato-Runs. Bei 15 Halbtönen (letztes Intervall im Audio-Beispiel) wird kein Übergang gespielt.

Zuerst mit Velocity 24 …

 

… und dann noch einmal dasselbe Beispiel mit Velocity 6 und im halben Tempo, damit die Übergänge so richtig schön zu hören sind:

 

 

Bei hohen Velocitywerten ist der Übergang so kurz, dass er nicht als solcher zu hören ist. In den Einstellungen kann man diese chromatischen Runs abschalten, so dass dann ein normaler Übergang gespielt wird.

Falls

Ein Fall ist dem Legato-Mode nicht unähnlich, nur das hier ein Legato-Run – aufwärts oder abwärts – „ins Nichts“, also ohne bestimmten Zielton, gespielt wird. Die Artikulation Fall ist eine der ganz wenigen, die bei diesem virtuellen Instrument durch Keyswitches ausgelöst werden können.

 

Das Tempo des Falls ist abhängig von der Anschlagsstärke des Key-Switches: Je stärker der Anschlag, desto schneller der Fall. Sobald der Key-Switch losgelassen wird, endet der Fall. Das Loslassen muss also exakt getimet sein.

Beim folgenden Beispiel wird immer derselbe Ton mit derselben Länge und derselben Velocity gespielt. Nur die Anschlagsstärke des Keyswitches ändert sich. Beim ersten Ton hat der Keyswitch die Velocity 0 – es wird kein Fall ausgelöst.

 

Anstelle von ein bis drei verschiedenen Falls – wie wir es von Sample-Libraries kennen – sind also deutlich mehr unterschiedliche Fall-Längen spielbar.

Jetzt hören wir uns an, wie ein Ton mit derselben Anschlagsstärke und derselben Anschlagsstärke des Fall-MID-Keyswitches mit unterschiedlichen Längen des Keyswitches klingt.

Das Tempo des Falls ist also dasselbe, er hört aber nach weniger Tönen auf. Zum Vergleich habe ich als letztes noch einmal einen schnellen Fall (hohe Velocity des Keyswitches) angehängt.

 

 

Forte-Piano-Crescendo

Diese Spieltechnik ist ein absoluter Klassiker von Bläser-Sätzen. Lauter Attack, Lautstärke schnell abfallen lassen und dann langsam wieder anschwellen lassen.

Erster Gedanke des Autors: „Wie soll das denn ohne Key-Switch gehen?!“ Nach ein paar Versuchen ist die Lösung klar:

Harter Anschlag und Bewegung des Expression-Pedal von laut nach leise sorgt für die ersten zwei Drittel, also Forte-Piano. Dann das Pedal langsam nach vorne drücken für den Swell.

Moderne Libraries wie die NI Sessions Horns Pro und vir2 Mojo 2 Horn Section haben zwar auch diese Fo-Pi-Cres-Artikulation, die per Key-Switch gespielt werden. Bei einigen dieser Sample-basierten Instrumente kann auch die Länge des Swells variiert werden (in BPM und manchmal in Sekunden).

Die SWAM Saxophones können aber nicht nur die Länge variieren, sondern dabei auch beliebig Growl, Vibrato etc. hinzufügen. Großartig!

 

Beim ersten Swell habe ich das Modulationsrad benutzt, um Expression zu steuern. Bei längeren Swells gefiel mir das nicht so gut, da ich das nicht sauber spielen konnte. Beim zweiten Swell habe ich mit dem Linien-Werkzeug von Cubase 10 Pro eine gerade Linie aufwärts eingezeichnet, beim dritten Swell eine kurze Linie abwärts und dann eine lange Parabel aufwärts. Mir persönlich gefällt diese letzte Variante am besten. Das folgende Bild zeigt einen Screenshot der Expression-Controller-Spur der beiden langen Swells.

 

Triller

Triller werden gespielt, indem ein Ton gehalten wird und der zweite Ton mehrfach angeschlagen und wieder losgelassen wird. Wie man hört, ist das Tempo und die Anschlagsstärke wichtig für einen realistischen Klang. Zu Beginn ist die Velocity zu niedrig, im Verlauf des Beispiels klingen manche Triller-Tempi gut und realistisch, andere etwas weniger. Als nicht geübter Keyboarder muss man hier eventuell die MIDI-Daten etwas bearbeiten.

Selbstverständlich sind Triller mit verschiedenen Intervallen möglich, und zwar sowohl aufwärts als auch abwärts. Selbstverständlich? Ach nein, ich habe mich im Laufe des Testberichts nur schon so an die unfassbaren Möglichkeiten der SWAM-Saxophones gewöhnt, dass ich gar nicht mehr an die Beschränkungen herkömmlicher Sample-basierter Instrumente gedacht habe …

Growl

In der einen oder anderen Sample-Library werden auch Growl-Samples angeboten. Bei den SWAM-Saxophones kann die Artikulation Growl beliebig zum Ton hinzugemischt werden, sich also kontinuierlich verändern (1. Ton des Audio-Bespiels), während sich gleichzeitig Vibrato-Rate, Vibrato-Depth und anderes ändern können (2. Ton des Audio-Beispiels).

 

Dreistimmig

Zum Abschluss noch ein kurzes dreistimmiges Beispiel mit Bariton-, Tenor- und Alt-Saxophon, die einen typischen Bläsersatz spielen. Aufgenommen wurde das Beispiel in ein paar Minuten mit 3 Takes, wobei jeweils die Melodie mit der rechten Hand und Expression mit dem Fuß eingespielt wurde. Natürlich hätte ich auch das MIDI-File von der ersten Spur auf die anderen beiden Spuren kopieren können, aber dann hätte es weniger realistisch geklungen, denn echte Bläser spielen ja auch nicht zu 100% identisch. Das Ganze ist unquantisiert, da es sonst wieder ganz schnell künstlich klingen würde.

 

Weiterführendes

Instrument Presets

Jedes der vier Saxophone hat mehrere Presets für unterschiedlich klingende Instrumente. Die 12 Presets des Tenor Saxophones heißen Sax 1 bis 4 und haben jeweils Zusätze wie ‚bright‘, ‚warm‘ oder ’smooth‘. Diese Instrument Presets ändern das Timbre des jeweiligen Instruments.

Man kann also nicht nur den zum jeweiligen Song am besten klingenden Saxophonisten auswählen, sondern auch Ensembles mit mehreren zum Beispiel Tenor-Saxophonisten bilden, ohne dass die identischen Samples für Probleme sorgen und gleich nach virtuellem Instrument klingen wie bei einem gesampelten Saxophon.

Merkwürdigerweise öffnet sich kein Dropdown-Menü, sondern der Nutzer muss sich mit den Tasten +/- durch die Presets klicken. Das ist aber auch der einzige Mini-Bug (?), den ich gefunden habe, die SWAM Saxophones liefen auch bei gleichzeitigem Einsatz dreier Saxophone und einer extrem niedrigen Puffereinstellung von lediglich 32 Samples völlig problemlos. Damit eignen sie sich selbst bei einem eher trägen bzw. betagten Audio-Interface mit mäßigen USB 2.0 – Treibern nicht nur für ein Einspielen mit Echtzeitgefühl, sondern auch für Live-Anwendungen.

Anschlagsdynamik anpassen

Per Expression-Curve kann die Anschlagsdynamik an die eigene Spielweise angepasst werden.

 

Weitere Spieltechniken

Als weitere Spieltechniken können Overblows und Flutter Tongue eingesetzt werden.

 

Spielgeräusche

Atemgeräusche (Breath Noise) und Klappengeräusche (Key Noise) können beliebig hinzugemischt werden.

 

Zufällige Variationen von Vibrato und Dynamik

Die zufällige Variationen von Vibrato und Dynamik können unabhängig voneinander hinzugefügt werden, wobei die Stärke der zufälligen Änderungen jeweils exakt dosiert werden kann. Die Humanisierung des Vibratos ändert die Stärke und die Geschwindigkeit des Vibratos. Die Humanisierung der Dynamik ändert die Dynamik und die Tonhöhe – so wie auch kein echter Bläser jeden Ton zu 100% trifft.

 

Micro-Tuning

Jeder einzelne Ton kann per Micro-Tuning ge- bzw. verstimmt werden, so dass zum Beispiel die Dur-Terzen der Tonart etwas zu tief gespielt werden können – ganz so, wie das ein professioneller Saxophonist auch machen würde. Auch nicht-temperierte Stimmungen lassen sich so problemlos realisieren.

Für jeden Ton kann die Stimmung per Schieberegler justiert werden (+/- 60 Cent) und unten kann jeder einzelne Ton an und ausgeschaltet werden. Man muss also zum Vergleichen nicht jedesmal mit den Schiebereglern rumfummeln – ein Mausklick genügt. Um einzelne Töne in Echtzeit während einer Live-Performance zu verstimmen, können auch Key-Switches verwendet werden.

 

Regler in Ausgangsstellung

Ein Doppelklick auf einen Regler im GUI bringt den Regler in die Standardstellung (0 bzw. Mittelstellung) zurück.

 

Ordner-Struktur & Plug-in-Pfad

Die Ordner-Struktur ist recht umständlich: Im VST-Ordner wird ein Ordner SWAM angelegt, darin ein Ordner Saxophones und darin die 4 Ordner für die 4 Saxophone.

Um das VST-Instrument mit noch weniger Mausklicks auswählen zu können, ändert man die Ordnerstruktur und zeigt dem Plug-in den neuen Pfad oder nutzt in Cubase den VST-Plug-in-Manager.

 

Meine Ordner-Struktur, vorher und nachher:

 

Hilfe & Bedienungsanleitung

Die Hilfe und eine Kurz-Bedienungsanleitung sind gleich im Instrument aufrufbar, und zwar mit klickbaren Links – sehr praktisch!

 

Tonumfang der vier Saxophone

Die Instrumente haben folgenden Tonumfang:

(Copyright Audio Modeling)

 

Options-Page

Auf der Options-Page lassen sich neben Micro Tuning und anderen bereits erwähnten Parametern noch weitere Einstellungen vornehmen:

Neben der Hauptansicht, dem MIDI-Mapping (inklusive MIDI-Learn) und Hilfe/Credits ist dies die letzte Ansicht der SWAM-Saxophones. So unglaublich viel Möglichkeiten so übersichtlich unterzubringen – Hut ab!

 

Was mir nicht so gut gefällt

Es gibt nur vier KeySwitches, fast alle Parameter werden über stufenlos Controller geregelt.

Das erlaubt einerseits eine für ein virtuelles Instrument unfassbare Vielfalt, Ausdrucksstärke und Authenzität, erfordert aber vom Keyswitch-gewohnten Nutzer eine gewisse Um- / Eingewöhnung.

Das GUI hat eine feste Größe, ist also nicht skalierbar. Andererseits ist es so übersichtlich angeordnet, dass das nicht wirklich negativ ins Gewicht fällt.

 

Fazit

Wenn man das Spielen mit Key-Switches gewöhnt ist, erfordern die SWAM Saxophones eine gewisse Umgewöhnungs- und Einarbeitungszeit. Vorbei ist es mit dem alten Prinzip, dass man mit der rechten Hand Tonhöhe und Velocity steuert und mit der linken Hand die Artikulation per Key-Switches auswählt.

Die musikalischen Möglichkeiten des Instruments sind dafür aber überwältigend! Bei den SWAM-Saxophones interagiert alles mit allem: Ton X mit Anschlagsstärke Y und während des Tons die Intensität des Vibratos langsam steigern? Kein Problem! Denselben Ton mit gleichbleibendem Vibrato, aber langsam ansteigendem Growl? Kein Problem! Zwei Töne legato spielen und beim zweiten erst nach längerer Zeit etwas Vibrato hinzufügen, dass dann auch noch schneller wird? Klar, aber wie schnell soll denn der Legato-Übergang gespielt werden?

Anfangs fühlt man sich von den Möglichkeiten etwas überwältigt.

Sobald man sich aber an die neue Spiel- bzw. Programmierweise gewöhnt hat, fragt man sich unweigerlich, wie man bisher mit den starren Samples gesampelter Libraries auskommen konnte.

Audio Modeling lässt mit den SWAM Saxophones die Grenze zwischen virtuellen und realen Instrumenten verschwimmen. Ein absolutes Top-Produkt!

 

Testautor: Andi Saitenhieb

 

Positiv

+ Anzahl der Steuerungsmöglichkeiten (Vibrato Rate, Vibrato Depth, Growl, Flutter Tongue, Airiness, etc.)

+ Spieltechniken kontinuierlich steuerbar (langsames Verändern von Vibrato Rate, Vibrato Depth, Growl, etc.)

+ Authentizität

+ für erfahrene Keyboarder auch in Echtzeit spielbar

+ Festplatten-Bedarf (unter 1 GB)

Negativ

– wenig Keyswitches

– Einarbeitungs- / Umgewöhnungszeit

 

Neutral

o keine internen VST-Effekte (wie bei einem realen Saxofon …)

o hohe, aber nicht übermäßige CPU-Auslastung

 

Systemvoraussetzungen

Das Plug-in liegt nur in 64 Bit vor (eine ältere 32 Bit Legacy-Version ist verfügbar)

Betriebssystem PC:

Windows 7, 8, 10, Vista oder XP 64 bit

Betriebssystem Mac:

nur Intel, Mac OS X 10.7 – 10.14

Plug-in-Formate PC:

VST* 64 bit, AAX 64 bit

Plug-in-Formate Mac:

AU* 64 bit, VST* 64 bit, AAX 64 bit

* Audio Unit v3 und VST3 noch nicht unterstützt

CPU

1.6 GHz Core 2 Duo CPU