Test: Zynaptiq Adaptiverb
Wenn Sie denken, dass Raumsimulatoren immer etwas mit Echos und sukzessive verdichteten Reflexionsmustern zu tun haben oder eine Impulsantwort verwenden, dann haben Sie noch nichts von Zynaptiq Adaptiverb gehört.
Das Einzige, was Adaptiverb mit einem traditionellen algorithmischen Hall gemeinsam hat, ist, dass der Raumklang berechnet wird, und nicht etwa auf Impulsantworten (wie bei einem Faltungshall) basiert. Das war es dann aber – fast – auch schon mit den Gemeinsamkeiten. „Fast“ deshalb, weil auch ein konventionelles Reverb-Modul mit Allpass-Filtern an Bord ist.
Adaptiverb ist auch unter der Haube so futuristisch – oder sagen wir: fortgeschritten bzw. avantgardistisch – wie es die Grafik verspricht. Und anhand von Audiodemos werden wir noch hören, dass auch der Raumklang neue Dimensionen erschließt.
Adaptiverb tritt an, Instrumenten, Gesang und, im Hinblick auf die Post-Production, schlicht Audiosignalen aller Art Größe (räumliche Größe, versteht sich), Kohärenz und Körperhaftigkeit zu verleihen – und zwar ohne dabei den Direktschall und den charakteristischen Originalklang zu verstellen oder gar ein verwaschenes, undifferenziertes Klangbild zu erzeugen. Herkömmliche Reverbs versuchen, solche unerwünschten Überlagerungen mittels Ducking zu reduzieren, Adaptiverb geht von vorneherein andere Wege. Der Originalklang wird regelrecht in einen Raumklang transferiert. Und das Ergebnis kann sich beispielsweise so anhören:
Die Stimme stammt aus der Vocal-Library „Lyrical Vocal Phrases“ von Sonuscore.
Verwendet habe ich das Preset „Dynamic Lead Vocal Hall“ mit einem Dry/Wet-Verhältnis von 20/80. Bei einem derart hohen Effektanteil würde sich bei jedem anderen Hall das Signal in der Tat verwaschen oder aus weiter Entfernung kommend anhören. Bei Adaptiverb hingegen bleibt die Stimme selbst klar und deutlich im Zentrum, während sie vom Raumklang „getragen” wird – sehr schön.
Zum Vergleich hier das trockene Signal:
Überblick
Was also macht Adaptiverb bzw. wie funktioniert der Nachhall-Generator? Bei den Raumklang-Berechnungen werden, wie schon erwähnt, keine Reflexionsmuster algorithmisch erzeugt, Delays oder Allpass-Filter zur Simulation von Reflektieren verwendet, sondern unter anderem Ray Tracing und fortgeschrittene Verfahren der Künstlichen Intelligenz verwendet.
Ray Tracing kennt man aus der 3D-Grafik: Hier beschreibt dieses Verfahren den Weg des Lichts innerhalb eines Raumes, mitsamt Brechungen, Streuung und Färbungen (in Abhängigkeit zur Verteilung von Objekten in einem Raum, den Materialien und Oberflächenstrukturen) und schließlich die Verteilung von Licht und Schatten. Je nachdem, wie weit man die Strahlen und deren Brechungen verfolgen will, je nachdem wie fotorealistisch das Bild am Ende sein soll, können bei der Grafik solche Berechnungen für ein einziges Bild viele Minuten oder gar Stunden dauern. Diese Zeit hat man bei der Musik nicht. Hier soll alles in wenigen Millisekunden passieren. Adaptiverb braucht dafür schlappe 3072 Samples. Da stellt sich die spannende Frage, wie rechenintensiv Adaptiverb ist. Wir kommen noch darauf zurück.
Adaptiverb geht bei der Gestaltung des Raumklanges vom eingehenden Audiomaterial aus, passt sich diesem Signal an und formt aus der Tonalität und Klangfarbe des Eingangssignals den passenden Raumklang und die Hallfahne. Der Raumklang wird aufgrund der Klangeigenschaften des eingehenden Signals synthetisiert.
Der Raum(klang) wiederum ist mehreren Parametern unterworfen und kann gezielt vom Benutzer verändert werden. Parameter, wie man sie von algorithmischen Reverbs kennt, finden sich hier allerdings nur sehr begrenzt wieder. Die neuen Rechenverfahren liefern logischerweise auch neue Variablen für die Gestaltung.
Die Vorteile der avantgardistischen Raumklamg-Synthese à la Zynaptiq sind nicht nur (wie bereits gehört) ein bestechend klares und rundes Raum-Klangverhalten, sondern auch extravagante Klangeigenschaften, etwa Räume mit bestimmten, harmonischen Resonanzen, „singende“ Reverbs.
Da denkt man unweigerlich an Science Fiction. extraterrestrische Räume, schwerelose Raumklänge, Instrumente in sich permanent verformenden Zeitkapseln, ein psychedelischer Stimmenkosmos, der entlang neuronaler Bahnen tanzt, flirrende Erinnerungen an vergangene Klänge, ineinander verschlungen im Hyperraum. Machen Sie sich jetzt bitte keine Sorgen um die geistige Gesundheit Ihres Testautors; ich versuche nur den Klangkosmos von Adaptiverb zu beschreiben. Kein Zweifel: In Adaptiverb ist der Stoff drin, von dem mancher Filmschaffende geträumt hat.
Zurück auf dem Boden der Tatsachen wollen wir nun natürlich wissen, wie so etwas möglich ist. Das bereits erwähnte Ray Tracing – Verfahren ist nicht alles, was Adaptiverb zu bieten hat, sondern nur eine Option, ein Modul, zu finden als Reverb Modell R-TRC:
Raytracing und mehr
Das Ray Tracing – Modul eignet sich vor allem für dichte Reverbs mit Streuung. Dazu wird eine virtuelle Schallquelle in einem virtuellen 3D-Raum positioniert. Adaptiverbs AI-basierte Engine lässt den Schall sich entlang ganzer 16.000 Pfade von dieser Schallquelle zu simulierten Mikrophonen ausbreiten – errechnet inklusive Bewegung der Luftmoleküle und der Interferenzen zwischen den einzelnen Wellenfronten. ohne dabei einzelne Reflexionen zu erzeugen Der erzeugte Raumklang ist farblos “weiss” (linear über alle Frequenzen hinweg). Die Klangfarbe wird zuvor über den „Sustain Resynth“oder danach über den „Harmonic Contour Filter“ erzeugt. Das Hallmodul wird in der Regel über den vorgeschalteten „Bionic Sustain Synth“ gefüttert, in einem mischbarem Verhältnis von Direktsignal und synthetisiertem Signal. Neben dem RTC-Modul, welches auch in HD vorliegt, gibt es auch das eingangs bereits erwähnte traditionelle Allpass-Filter-Modell (gleich links daneben, s. Abb. oben).
Organischer und runder Raumklang mit dem Bionic Sustain Resynthesizer
Im Bionic Sustain Resynthesizer schlägt das Herz von Adaptiverb. Dabei handelt es sich um eine neue Art von Hall, ohne Härte, Körnung (wie man sie von Echoclustern kennt) oder eigene Resonanz-Frequenzen.
Rechnerisch kommt dabei eine Form Künstlicher Intelligenz zum Einsatz, die der ähnelt, die man in selbstfahrenden Fahrzeugen zur Vermeidung von Kollisionen einsetzt. Die Hallfahne wird aus Hunderten von Oszillatoren synthetisiert, welche die Tonhöhe bzw. die harmonischen Strukturen (Obertonspektrum) lernen und nur die wichtigen, tonalen Anteile des eingehenden Signals abbilden – Rauschen, Transienten und andere “unbedeutende” Klanganteile werden dabei gezielt “weggelassen”. Wer schon einmal tonale Aspekte eines Klanges isoliert gehört hat (etwa durch Extrahieren von Obertonspektren aus polyphonem Material mittels Restaurationstools oder dem WaveLab von Steinberg oder auch mit Effekten wie Eventide Fission), weiß, dass Rauschen und Transienten hierin nicht enthalten sind.
Dadurch gelangen diese Anteile, die den runden, glatten und organischen Raumklang stören würden, nicht in die Hallfahne, sofern man am Halleingang zu 100% das resynthetisierte Signal einspeist.
Eingriffe in die Re-Synthese
Die oben erwähnten Oszillatoren lassen sich über einige Ansatzpunkte Ansatzpunkten zwecks Klanggestaltung beeinflussen: Über Simplify kann man die Anzahl der Oszillatoren ändern – von Hunderten im Linksanschlag bis zu nur noch einem Oszillator im Rechtsanschlag.
Über Richness fügt man dem Raumklang harmonische Intervalle hinzu, welche man wiederum mit dem Fünf-Punkte-Slider darunter einstellt und über Pitch-Randomize dosierbar einem Zufallsprozess unterwirft.
Mit dem Parameter Richness lassen sich die Teiltöne des generierten Nachklangs umgewichten; dabei werden die einem einstellbaren Intervall am nächsten liegenden Teiltöne hervorgehoben. Als Intervalle stehen -12, -5, +7, +12 Halbtöne, zur Verfügung. Pitch Randomize erlaubt es, die Oszillatoren dosierter einem Zufallsprozess zu unterwerfen.
Dabei kommt es zur Anregung benachbarter Oszillatoren in bestimmten Tonhöhen und zu eigentümlichen Resonanzen. Bei extremen Einstellungen entsteht eine Art Geisterhall oder ein „singender Raum“ (wie im nächsten Audiodemo zu hören).
Die oben abgebildeten Einstellungen bewirken auf der Grundlage des zuvor verwendeten Presets diesen Klang (100% wet, damit Sie die Hallqualität besser beurteilen können):
Harmonische Filter
Für „singende Reverbs“ hat Adaptiverb aber noch eine zweite Option an Bord, nämlich das HCF (Harmonic Contour Filter) – wenn man es entsprechend einsetzt.
Die “offizielle” Funktion des HCF ist es, bei Akkord- oder Signal-Typ-Wechseln am Input die “veralteten” harmonischen Anteile aus der Hallfahne zu entfernen, wodurch selbst bei exzessiv langen und lauten Hallfahnen kein “Matsch” oder gar disharmonischer Krach entsteht. Das ist in dieser Form einzigartig.
In der Einstellung „Track“ werden harmonische Anteile und Resonanzen zwischen dem Ein- und Ausgangssignal verglichen. Rechts der neutralen Mittelstellung werden nicht-ähnliche harmonische Anteile unterdrückt, links davon werden ähnliche Anteile unterdrückt. Positive Werte verhindern Dissonanzen zwischen dem Originalklang und dem Hallsignal, betonen den harmonischen Charakter des Instruments in seinem Raumklang und führen dazu, dass das Abklingverhalten des Instruments und sein Klang im Raum perfekt miteinander verschmelzen.
Negative Werte des Parameters können bewirken, dass das Hallsignal die Lücken im Klangraum ausfüllt. Bei eingeschaltetem Freeze bewirkt eine Animation des Parameters fließende harmonische Veränderungen des Klangspektrums, wie in diesem Audiodemo zu hören:
Im Track-Modus verfügt das Harmonic Contour Filter über einen Hold-Modus, der die aktuelle Filterfunktion einfriert. Damit lassen sich Klangfarben eines Signals auf ein anderes übertragen. Im Follow-Modus wird der Klang des Filters mit permanent aktualisiert. Im Linked-Modus schaltet das Filter automatisch auf „Hold“, wenn Freeze betätigt wird. Mit Weightening stellt man einen harmonischen Offset ein.
Über ein kleines, virtuelles Keyboard kann man auch ganz bestimmte Harmonien herausfiltern …
… oder auch hinzufügen, womit wir dann wieder bei der oben erwähnten Option wären, das Filter für tonale Resonanzen zu verwenden. Hier wird der Stimme gleich ein Geisterchor zur Seite gestellt:
Tonale Resonanzen (über steilflankige Bandpass-Filter) kann man im Res-Modus verstärken (HCF im Rechtsanschlag). Über QNT werden Tonhöhen quantisiert, was zu einem klareren Raumklang oder zu einem reineren tonalen Effekt führt, je nachdem, wie man das Filter einsetzt bzw. in welche Richtung man den Slider von der neutralen Mittelposition aus schiebt.
Breathiness verstärkt das Restrauschen des HCF-Filters, also letztlich Rauschen, das bereits im Signal enthalten ist. Breathiness fügt kein zusätzliches Rauschen hinzu. Ob Breathiness einen geringen oder deutlichen Effekt ausmacht, hängt zum einen vom Eingangssignal ab, zum anderen von der Stärke, mit der man das HCF betreibt. Ist das HCF ausgeschaltet oder der Slider „Harmonic Filtering“ in neutraler Mittelposition, so kann Breathiness nicht wirken.
Die Hauptparameter
Nun haben wir bereits einige Feinheiten und Spezialitäten des Adaptiverb kennengelernt. Es gibt aber natürlich auch grundlegende Parameter, ohne die kein Hall auskommt, auch wenn hier eine andere Berechnung damit verbunden ist:
- Predelay am Eingang und in Millisekunden.
- Low Cut am Eingang, zum Absenken von tieffrequenten Störgeräuschen.
- Input Air hebt die hohen Frequenzen am Eingang an.
- Reverb Size legt die globale Raumgröße fest.
- Reverb Damping Amount dämpft die Höhen im Verlauf der Hallfahne ab.
- Neben dem Dry/Wet-Mix-Regler gibt es noch Wet Gain, um zu den Hallpegel zusätzlich anzupassen (bis plusminus 24 dB).
Daneben gibt zentrale Parameter, die man bei kaum einem anderen Hall findet:
Reverb Source definiert den Anteil das Mischverhältniss zwischen dem resynthetisierten Klang und dem unbearbeiteten Eingangssignal vor dem eigentlichen Hallmodul.
Freeze friert das Eingangssignal ein (also vor sämtlicher Bearbeitung durch das Re-Synthesemodul, den Hall und das HCF). Damit sind spezielle Hall-Ambiences möglich. Man morpht bei stehendem Eingangssignal zwischen Raumeigenschaften. Es entstehen beispielsweise Ambiences. Freeze ist nicht zuletzt ein schönes Werkzeug für Klangdesigner.
Magisches Raummorphing
Adaptiverb liefert nicht nur sehr klare, natürlich klingende Räume, sondern kann auch für spezielle Raum-Effekte eingesetzt werden. Letztere profitieren von Parameterveränderungen in Echtzeit.
Adaptiverb lässt sich umfangreich über MIDI-Controller steuern. Dafür gibt es einen komfortablen MIDI-Lerndialog …
… der natürlich auch das große zentrale XY-Feld einschließt. Wer einen XY-Controller (iPad App etc.) oder ein entsprechend ausgestattetes Controllerkeyboard sein eigen nennt, ist klar im Vorteil.
In der Hauptansicht flankieren die Parameter Richness (des Moduls Bionic Sustain Resynth) und das HC-Filtering das XY-Pad. Mit beiden Parametern kann man beispielsweise von einem unauffälligen, neutralen Raum in einen tonalen Reverb überblenden und wieder zurück.
Was nicht geht, ist eine Eingabe von Akkorden für das virtuelle Keyboard über MIDI:
Wie oben zu sehen, kann man aber fünf Akkorde als Snapshots definieren und diese über einen externen Controller abrufen. Das sollte in der Praxis ausreichen, um eine Abfolge verschieden tonaler Halls einzubinden. Braucht man mehr, muss man mit einer zweiten Instanz von Adaptiverb arbeiten.
Weiterführendes
Oben links …
… schaltet man Tool Tipps ein, öffnet das englischsprachige PDF Manual, aktiviert den MIDI-Lernmodus, macht die Schaltung sichtbar …
… schaltet den Live-Mode ein (bei dem das Dry Signal resp. Level verzögerungsfrei durchgeschleust wird) und den Preview Mode. Letzterer reduziert die CPU-Last ohne große Einbußen bei der Klangqualität. Womit wir beim nächsten Kapitel wären:
Anspruch an die Rechenleistung
Die in den diversen Modulen verwendeten High-Tech Verfahren müssen eine gewisse Menge des Eingangssignals “sehen”, um ihre Magie umsetzen zu können. Fällt der verwendete Audiopuffer im Host deutlich kleiner aus, als der von Adaptiverb verwendete “Block”, steigt die CPU-Last stark an. Entsprechend empfiehlt Zynaptiq eine Puffergröße von 512-1024 Samples.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass Adaptiverb trotz Preview Mode auf unserem Testsystem (DA-X Haswell Extreme Workstation mit Windows 8.1, IntelCore i7 5930k (3,5 GHz, 6-Core), RME Fireface 802, Cubase 9 Pro) bei niedriger Latenz (128 Samples Puffergröße, rund 7 ms Latenz) nicht voll umfänglich einsetzbar war.
Besonders rechenintensiv ist das Modul Raytracing Hall und das HCF. Wechselt man zum Allpass-Reverb und schaltet das HCF aus, kann man Adaptiverb auch bei niedrigen Latenzen betreiben. Im Großen und Ganzen muss man aber konstatieren, dass Adaptiverb bei Nutzung seiner speziellen Fähigkeiten eher eine Wahl für die nachträgliche Arbeit am Mix, für die Post-Production oder für das Klangdesign ist, also erst in Frage kommt, wenn die Einspielphase abgeschlossen ist.
Auf unserem Testsystem schlug die Echtzeit-Peak-Anzeige von Cubase sogar bei Verwendung des VST3-Plug-ins von Adaptiverb und bei Stillstand des Projekts (also in Pausen) um bis zu 75% aus. Eigentlich sollten VST3-Plug-ins in Pausen keine oder fast keine Rechenleistung einfordern. Uns stellte sich daher die Frage, ob das Cubase oder Zynaptiq anzulasten ist. (Zitat Steinberg: „VST3 hilft dabei, die Gesamtperformance zu verbessern, da nur dann Audiodaten berechnet werden, wenn tatsächlich ein Signal anliegt. VST3 PlugIns verhalten sich daher besonders ökonomisch und verbrauchen nicht unnötig Systemressourcen, wenn gerade auf der entsprechenden Spur kein Audiomaterial abgespielt wird.“). Wir haben bei Zynaptiq nachgefragt und erhielten die nachvollziehbare Information, dass Adaptiverbs Freeze-Funktion bei einem VST 3 Auto-Bypass nicht funktionieren würde. Auf dieses wichtige Feature wollte man aber verständlicherweise nicht verzichten.
Bedauerlicherweise verfügt Cubase auch in der aktuellen Version (9.5 Pro) immer noch nicht über Multithreading für einzelne Kanäle. Alle Plug-ins eines Mischerkanals werden über einen Kern berechnet. Nur wenige Hersteller von VST-Instrumenten oder Plug-ins knacken diese Hürde und bieten am Processing von Cubase vorbei Multithreading an.
Presets und Anwendungsbeispiele
Im zweiten Teil des Tests soll es vor allem um die (teils neuen) klanggestalterischen Dimensionen gehen, die Adaptiverb erschließt.
Bedingt durch die innovativen Konzepte, die hier zum Einsatz kommen, ist vieles zunächst neu und ungewohnt. Dennoch erweist sich Adaptiverb als nicht besonders schwierig zu bedienen. Wer es sich besonders einfach machen möchte, bleibt beim Hauptfenster und sucht sich ein Preset aus. Davon gibt es viele:
Hier die Kategorien noch einmal, besser lesbar:
Wir starten beim Praxistest mit einem Drum Groove, den uns Rob Papens Punch liefert. Hier das Original:
Die Drums verfügen teils über ein langes Sustain aber nicht über einen Halleffekt. Die tieffrequenten Anteile sind mächtig und könnten einem Reverb zu schaffen machen. Ein kleiner Standard-Raum aus Adaptiverb hört sich mit dieser Klangquelle so an:
Einer meiner Favoriten, wenn ich einen klaren, authentischen Raumklang haben möchte, ist Altiverb von Audio Ease. Ein Raum aus den Hansa Studios, Berlin, hört sich so an:
Der Hall von Adaptiverb wirkt unauffällig und rund. Beim Altiverb führen die tiefen Frequenzen zu einem seltsamen Flattern der Hallfahne. Nun könnte man beide Reverbs natürlich noch an dieses schwierige Material anpassen (wir belassen es hier aber einmal beim Vergleich der beiden Presets).
Es gibt einige wenige Halleffekte, bei denen durch Kombinationen extremer Raumparameter (etwa eine minimale Raumgröße bei maximaler Halldauer) oder durch den Einsatz steilflankiger Filter Räume erzeugt werden können, die wie überdimensionale Blechdosen klingen.
Hier als Beispiel der Brainworx bx_rooMS …
… der 2C Audio B2 …
… oder der Eventide UltraReverb:
Adaptiverb geht da noch einen Schritt weiter und klingt dann so, als sei der Raum ein harmonisch gestimmtes Instrument, welches durch das Eingangssignal in Schwingung versetzt wird (vom Klangeffekt her ähnlich wie bei Physical Modelling, wo ein Impuls einen Resonanzkörper in Schwingung versetzt).
Hier habe ich den Parameter „Harmonic Filtering“ animiert:
Ein Preset, welches eigentlich für der Gesangsbearbeitung dienen soll:
Welche Klangquelle könnte hinter diesem Hall stecken?
Ein Drum Groove von Soniccouture ElectroAcoustic.
Eine weitere Verfremdung dieses Grooves:
Welches Instrument gibt hier den Ton an?
Dieses:
Solche und ähnliche tonal gefärbte Klangtexturen lassen sich in vielerlei Schattierungen aus praktisch jeder beliebigen Klangquelle erzeugen. Adaptiverb ist damit auch ein interessantes Tool für Klangdesigner und liefert auf diesem Gebiet einzigartige Ergebnisse.
Die Violine mit dem Preset „Deep Dream Verb 06“:
Aus einem Aaah-Chor (Soniccouture Crowed Choir) wird ein schillernder Flächenklang:
Ein Pad mit animiertem Harmonic Filtering:
Eine aztekische Flöte aus Best Service / Eduardo Tarilonte Forest Kingdom II, zunächst trocken:
Mit mysteriöser Raumklang-Kulisse:
Ein Loop der Bata Drums aus Forest Kingdom II verwandelt sich in einen schwebenden Flächenklang. Hier habe ich zwischen Dry und Wet überblendet, das Fadenkreuz im XY-Feld bewegt (Sustain/Reverb Mix) und die Stärke des HCF variiert:
Das Preset „Alien Metal Factory Slap Echo Hall“ und Cula-Trommeln:
Eine Modifikation des Presets „Explosive Snare Room“ für einen euklidischen Drum-Groove aus „Cocktail Kit with Nipples“, Soniccouture, Box of Tricks:
Der Raum umgibt die Drums, ohne sie zu überdecken. Der Wet-Anteil liegt bei erstaunlichen 50%. Zum Vergleich dazu ein Faltungshall mit einem ähnlich dimensionierten Raum und nur 25% Wet-Anteil:
Das ist sicher auch ein mehr als nur brauchbares und realistisch klingendes Ergebnis, doch in puncto Freistellung des Direktschalls im Raum hat Adaptiverb die Nase vorn.
Der „Non-Boomy Medium Drum Room“ liegt relativ nahe am oben verwendeten Faltungshall. Auch hier kann man wieder sehr schön hören, wie Adaptiverb einen Raumklang erzeugt, der die Konturen des Instruments nicht im geringsten verwischt. In der Summe ergibt sich ein klares und transparentes Klangbild, wie man es mit kaum einem anderen Hall erreicht.
Nach diesen Beispielen für realistische Räume kommen wir nochmals zum Thema Klangdesign zurück. Ein metallischer Effekt-Hall, mit Re-Synthese und Ray Tracing:
So hört es sich an, wenn man ein Effekt-Hall-Preset von 100% Wet langsam zu 100% Dry überblendet:
Hier habe ich den Hall langsam von 100% Wet auf 72% Wet heruntergefahren und zwischen Takt 9 und 13 ausgeschaltet. Bei 72% Wet simuliert Adaptiverb in diesem Fall einen Raumklang, der eine riesige Halle mit Materialien wie Beton, Metall und Glas suggeriert. Trotz des dichten Halls mit sehr spezieller Klangfarbe wird das Originalsignal nicht verdeckt.
Zum Abschluss noch ein Vergleich zwischen dem Allpass-Hallmodul und Ray Tracing. Bislang habe ich ausschließlich Ray Tracing verwendet. Die verwendeten Loops von Gitarre und Kontrabass stammen aus Ueberschall Acoustic Lounge bzw. dem Lounge Bundle.
Trocken hören sich die Loops so an:
Ich verwende das Preset „Non Bloomy Bass Guitar Hall“. Das Preset simuliert eine große Halle mit angenehm weichem, dichtem und warmem Klang. Obwohl der Mix-Regler auf 50% steht und ich das Wet-Level zudem um 7 dB angehoben habe …
… nimmt man die Hallfahne erst voll umfänglich wahr, wenn der Hall ausgeschaltet wird (Takt 5 und 6) und am Ende durch das Ausklingen der Hallfahne.
Nun ein Versuch mit dem Allpass-Modul:
Das klingt auch nicht schlecht und erinnert aber erwartungsgemäß an andere gute algorithmische Reverbs. Die feine Zeichnung des Ray Tracing – Moduls wird nicht erreicht. Der maßgebliche Unterschied zu anderen algorithmischen Halls sind auch hier die vorangehenden stimmbaren Oszillatoren der Bionic Sustain Resynthese und das dem Hallmodul nachgeschaltete Harmonic Contour Filter.
Hier habe ich die beide Module in Kombination mit dem Allpass-Reverb verwendet und über die Snapshots des HCF zwischen verschiedenen F-Dur-Zwei- und Dreiklängen gewechselt:
Die roten Pfeile kennzeichnen die Parameter, die ich im Folgenden anpasse.
Der Raumklang (mit dem Allpass-Modul) folgt den Harmonien der Gitarre. Wenn man mittels Reverb Source Slider die Re-Synthese ausblendet, hört es sich so an:
Schaltet man von Allpass auf Ray Tracing HD um, so wird der Raumklang dichter und ausbalancierter:
Diese Variante ist auch noch recht schön: Der Reverb Source – Regler, mit dem man das Re-Synthese-Signal hinzumischt, bevor es zum Hallmodul geht, steht in der Mittelposition. Der Hall wird wieder über Ray Tracing HD erzeugt; die Raumgröße habe ich verringert und die Dämpfung minimiert.
Die hochfrequenten Anteile in der Hallfahne entstehen durch den Faktor Breathiness bei minimaler Dämpdfung. Aptiverb zeigt sich hier erneut von der kreativen Seite und suggeriert beinahe ein weiteres Instrument, vielleicht eine Orgel, die der Gitarre folgt.
Fazit
Zynaptiq Adaptiverb ist ein außergewöhnlicher Raumsimulator Hall, der die Grenze zwischen Effekt und Instrument überschreitet. Neben fein gezeichneten Räumen aller Größen, die sich hervorragend in eine Mischung integrieren lassen und das Originalsignal selbst bei hohem Mix-Anteil nicht verdecken, sind Hall-Effekte möglich, die aus unterschiedlichsten Klängen schillernde Texturen oder sanft wogende, tonale Flächen erzeugen. Man kann über die Automation oder MIDI-Steuerung diverser Parameter solche Raum-Klangereignisse in Echtzeit formen. Der Übergang zwischen Instrument und Raumklang ist fließend, ebenso Übergänge zwischen Hall und Effektsound.
Möglich wird das durch einzigartige Berechnungen, durch lernfähige, virtuelle Gebilde, die aus Hunderten von Oszillatoren bestehen, und durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Als Benutzer kann man Einfluss auf die Tonalität bzw. Stimmung der Oszillatoren und des nachgeschalteten Harmonic Contour Filterns nehmen. Dazwischen liegen die zentralen Hall-Module: der konventionelle Allpass-Reverb und zwei Ray Tracing – Module.
Gute Hallsimulationen werden gerne als musikalisch und organisch beschrieben. Das trifft auf Adaptiverb in vollem Maße zu. Es sind Raumklänge möglich, die dem Ohr regelrecht schmeicheln und sich nahtlos an den Direktschall anschmiegen.
Adaptiverb erschließt neue Raum-Klang-Welten, fordert dafür aber für seine futuristischen Rechenmodelle auch ein nicht unerhebliches Maß an CPU-Power ein. Dadurch bietet sich der Einsatz von Adaptiverb stärker im Mixdown oder beim Sound-Design an, als bei der Live-Performance oder während der Einspielphase.
Adaptiverb ist unterm Strich eine Bereicherung für die Arbeit am Raumklang über alle Genres hinweg, einschließlich der Post-Production und des Klangdesigns. Die atmosphärischen Flächen und Drones (via Freeze-Funktion) dürften nicht zuletzt für die Film- und Spielevertonung interessant sein, darüber hinaus für avantgardistische Klangforschungen und für Klanginstallationen. Wer einmal mit Adaptiverb gearbeitet hat, wird nicht mehr auf diesen Effekt der Extraklasse verzichten wollen.
Angesichts der hohen Klangqualität und der einzigartigen Features ist der Preis absolut angemessen. Für die erstklassige Klangqualität und das außerordentliche Maß an Innovation verleihen wir unseren Innovation Award.
Testautor: Andreas Ecker
Plus:
• außergewöhnlich fein gezeichnete Raumklänge (Raytracing)
• exzellente Freistellung des Direktschalls
• extravagante Raum-Klang-Kompositionen (Klangdesign)
• Freeze-Funktion für Drones, Atmopshären und Texturen
• eigenständiges, innovatives Konzept
• vielseitig verwendbar
Minus:
• teils hohe Anforderungen an die CPU (Raytracing, Harmonic Contour Filtering)
Preis (UVP): 249.- EUR (incl. USt.)
Hersteller: Zynaptiq w
Hinweis: Einige Screenshots wurden mit TechSmith Snagit bearbeitet.