Interview: Werner Kracht – ein Rückblick in Steinbergs Aufbruch
|Kaum zu glauben, aber auch eine weltweit agierende Firma wie Steinberg war einmal ein 4-Mann-Unternehmen. Zumindest ich finde Berichte aus alten Zeiten sehr spannend – vor allem, wenn es um Steinberg geht, denn deren Entwicklung beinhaltete nicht nur viele schöne Produkte und einen Sequenzer, dessen Oberfläche Maßstäbe gesetzt hat, sondern auch eine stetig wachsende Mitarbeiterschar. Zudem wurde die Hamburger Softwareschmiede zweimal von größeren Konzernen übernommen – erst von Pinnacle und dann von Yamaha. Gehen wir also zurück ins Jahr 1982 und lassen uns erzählen, wie alles begann …
Seit wann programmierst du Musiksoftware?
Eigentlich hat für mich das Schreiben von Musik-Software schon 1982 angefangen, nämlich mit der Teilnahme am Commodore Software Grand Prix für den VC-20 (erster „Volks-Computer“). Für diesen Grand Prix habe ich ein paar Programme für den „kreativen Musiker“ geschrieben, darunter auch einen ersten Sequenzer für den internen Soundchip des VC-20. Der erste Preis, ein Käfer-Cabriolet, hat dann nur für einen Tag mir gehört. Ich habe es dann verkauft, um mir endlich eine 4-Spur Bandmaschine leisten zu können. Die Programme waren in Basic geschrieben und mussten auf einer Musik-Kassette eingereicht werden, eine Floppy-Disk oder gar eine Hard-Disk gab es für diese Rechner noch nicht. Ich habe dann in der Folge versucht, die Programme über Kleinanzeigen zu verkaufen, aber auch in diesen frühen Jahren waren schon die Raubkopierer unterwegs, und ich hatte schon damals Kontakte zur Staatsanwaltschaft, die mir nahelegten, einige jugendliche „Software-Piraten“ anzuzeigen, die meine Programme verkauft hatten. Mehr als ein paar Programme konnte ich allerdings nie loswerden.
Wie ging es weiter?
Als ein Jahr später der legendäre C-64 herauskam, wurde die Sache mit der Musik-Software noch interessanter und das Potential für den Musiker immer mehr deutlich. 1984 habe ich das erste Mal Manfred („Manne“) Rürup und Karl („Charlie“) Steinberg getroffen (damals gab es noch gar kein Office), da ich aber zu dieser Zeit schon einen Vertrieb für meinen damaligen Sequencer hatte, habe ich mich noch geziert, meinen damaligen Kollegen im Stich zu lassen.
Einen weiteren Sequenzer entwickelte ich auch noch für die Firma Roland, die das Programm mit der bekannten MPU 401 gebundelt hat. Dieses Programm verfolgte schon streng den Tape-orientierten Ansatz.
Mein erfolgreichstes Programm war zu der Zeit wohl der DX7 Bankloader. Aber auch hier haben die wenigsten das Programm bei unserer Firma Micro-Music gekauft. Das Hacken war zu dieser Zeit zu einfach.
Wann und wie ging es mit Steinberg los?
1985 bin ich dann dem Werben von Manfred erlegen und habe bei Steinberg Research angeheuert. Die Aussicht auf den ersten ATARI-Developer Maschinen loslegen zu können, war zu verlockend. Lustigerweise hatte Manfred schon Ende der Siebziger Jahre mal versucht, mich für seine Band „Bandstand“ als Gitarrist anzuheuern, das habe ich aber damals abgelehnt, weil ich mein Psychologie-Studium endlich zu einem Abschluss bringen wollte.
Da es schon einen Sequenzer bei Steinberg gab (Charlies PRO-16), konnte ich erst einmal nur mit meinen „educational“ Projekten „Piano-Partner“ und „Guitar-Partner“ im Sortiment landen. Steinberg hatte zu diesem Zeitpunkt mit mir genau 4 Mitarbeiter.
Da Charlie Steinberg nun die damalige „Cash Cow“ PRO-16 am Leben erhalten musste (auch damals gab es schon „abgespeckte“ Versionen für Wersi und Casio), konnte ich mich voll auf den ATARI konzentrieren und habe innerhalb von ein paar Monaten die erste Version vom „Twenty-Four“ (PRO-24) fertig gehabt. Man konnte damals in der Tat als Autodidakt und Einzelkämpfer in kürzester Zeit ein kommerzielles Programm erstellen. Dafür reichte mir ein Lehrbuch für die Programmiersprache „C“ und das Entwickler-Kit, das mit dem ATARI ST ausgeliefert wurde. Meine bisherigen Programme waren nämlich in Maschinen-Sprache und BASIC geschrieben.
Ein besonders begnadeter Programmierer bin ich eigentlich nie gewesen. Ich habe mir immer gerade so viel angeeignet, um meine musikalischen Features und Ideen implementieren zu können. Zur damaligen Zeit habe ich sogar mein Geld noch mit Live-Gigs und Unterricht verdient, aber schon meine eigenen Programme zum Komponieren benutzt.
Da wir die erste Firma waren, die ein Programm für den ATARI liefern konnte, waren die Vorbestellungen entsprechend hoch.
Die Raubkopien hielten sich zunächst auch in Grenzen, da das „24“ mit einem Dongle verkauft wurde.
Main Screen vom PRO-24 (hier Version III von 1988)
Da keiner bei Steinberg und auch ich selber nicht absehen konnte, ob sich der ATARI überhaupt durchsetzen würde (es gab da auch noch den Commodore Amiga), habe ich mich dann per Handschlag mit Manne auf eine 25-prozentige Umsatzbeteiligung geeinigt.
Dein Status bei Steinberg?
Mein Status als freier Mitarbeiter bei Steinberg war eigentlich über die ganzen 20 Jahre mehr oder weniger vertragslos, es gibt z. B. bis heute keine schriftlichen Vereinbarungen über meine Urheberrechte an Cubase, die hat sich dann später jemand anderes versilbern lassen.
Und dann?
Es folgten 3 „fette“ PRO-24 Jahre. Da die Firma jetzt schnell wuchs und chronisch am finanziellen Abgrund navigierte, habe ich mich von Manne breitschlagen lassen, ohne Gegenleistung statt 25 % nur noch 15 % Tantiemen zu nehmen (Manne: „damit die Angestellten mit Frau und Kindern ihr Geld bekommen können …“).
Im Nachhinein war das ein großer Fehler, denn die ca. 250.000 DM, auf die ich damals verzichtet habe, waren unwiederbringlich weg, da sich Manne und Charlie später standhaft geweigert haben, mich an der Firma zu beteiligen.
Mit dem PRO-24 haben wir auch international den Grundstein für unsere jetzige riesige User-Community gelegt. Im Prinzip verselbständigt sich so ein Projekt mit der Größe des Kundenkreises, da zu über 90 % nur noch die (teilweise genialen) Vorschläge unserer Kunden umgesetzt werden müssen.
Die ersten Pläne zu Cubase?
Nachdem C-Lab mit dem Notator dem TwentyFour kräftig die Marktanteile genommen hatte, wurde als nächstes Cubit (später Cubase) in Angriff genommen.
Da wir eine neue aufwendige grafische Benutzeroberfläche machen wollten, wurde das erste Mal ein Team mit festgelegten Arbeitsbereichen zusammengestellt:
- ich habe die Engine des PRO-24 für das neue Programm verbessert (im Prinzip wurde über das Daten-Design des PRO 24 nur ein anderes User-Interface gelegt, die Part bzw. Container-Struktur mit Abspielparametern des PRO-24/Cubase ist dann von allen Mitbewerbern kopiert worden und findet sich bis heute in fast allen gängigen Sequencer-Programmen wieder.)
- Wolfgang Kundrus hat das gesamte Handling im Arrange-Fenster übernommem
- Stefan Scheffler hat – frisch von der Schule engagiert – den Key- und List-Editor programmiert
- Chris Mercer hat zunächst den Score-Editor gemacht, ab der 2.0 Version hat das Michael Michaelis übernommen
- Charlie Steinberg war an Cubase zunächst eher nur peripher beteiligt, er hat den MIDI-Kernal – das MROS beigesteuert.
Da ich in den ersten Cubase Entwicklungs-Jahren meinen Lebensunterhalt von den PRO-24 Einnahmen bestritt, habe ich an Cubase fast zum Null-Tarif geschrieben.
Die Cubase Versionen 1.00 bis 3.00 waren alle reine MIDI-Versionen und die Marketing-Schlachten wurden um Timing, Quantisierung, Sync und Schnelligkeit geführt. Meine Position im Team hat es mir zum Glück immer erlaubt, neben der reinen MIDI-Engine auch „esoterische“ Bereiche wie Groove- und Match-Quantize, den IPS (Interaktiv Phrase Synthesizer), Style-Tracks und den Logical Editor beizusteuern.
Und Audio?
Mit der Erweiterung der Plattformen auf den Mac und den PC geriet Audio immer mehr in den Focus.
Die erste Audio-Version hat Mark Badger auf dem Mac für die Digidesign-Engine geschrieben. Mark ist leider sehr früh verstorben. Er hat, als er Teil des Teams war, wirklich wunderbar unseren teutonischen Ernst mit seinem Humor aufgelockert.
Eine Cubase Audio Version für Wolfgang Palms (PPG) Harddisk-Recording Projekt Topaz, hätte uns fast wieder in den finanziellen Abgrund gerissen. Leider haben sich eigentlich alle Produkt-Manager in den letzten 20 Jahren an Hardware-Projekten versucht, die meisten sind Flops gewesen und haben das Geld verbrannt, was mit Cubase eingenommen wurde (CBX D5, Topaz, Houston, Mimix, Timelock, SMP-24, etc.). Wir sind und bleiben nun mal eine Software-Schmiede.
Nachdem Charlie sich auf dem ATARI-Falcon auf die Programmierung einer eigenen Audio-Engine konzentriert hatte, rückte seine Arbeit (VST) dann auf PC und Mac schlagartig in den Mittelpunkt (und das vollkommen zu recht!). Wieder einmal waren wir die ersten, die das (zukünftige) Potential der kommenden PC-Generation in unserer Entwicklung richtig antizipiert hatten.
Die damaligen Systeme waren zwar eigentlich noch zu langsam und die Latenzen viel zu hoch, aber wir konnten damals Standards setzen (ASIO), so dass bis heute keiner an uns vorbeikommt.
Irgendwann kam dann Nuendo …
Ja, ab 1996 wurde ein neues Sequenzer Team gebildet, das ursprünglich ein reines Konkurrenz-Produkt zu Digidesigns Protools herstellen sollte: NUENDO.
Ich habe damals nur einen Prototyp des Daten- und Engine-Modells beigesteuert, welches mehrfach überarbeitet wurde. Die prinzipiellen Strukturen sind noch heute in Nuendo und Cubase SX vorhanden.
Da Cubase VST weiterhin gepflegt werden musste und Michael Michaelis und ich die einzigen waren, die sich in dem mittlerweile kaum noch wartbaren Code auskannten, waren wir dazu verdammt, noch ein paar Jahre lang neue Features für die Updates einzubauen. Michael hat da einen sehr guten Job für die 4.0 und 5.0 Version gemacht. Ich war dann auch noch an der Integration des „Rocket Network“ beteiligt (Musik- Kollaboration im Internet). Aber die spannenderen Dinge passierten jetzt im Nuendo-Team.
Anfang 2000 gab es dann ein entscheidendes Meeting, bei dem die Zusammenlegung der beiden Teams beschlossen wurde, um ein neues Cubase auf Grundlage von Nuendo zu bauen.
Da Nuendo im MIDI-Bereich sehr unvollständig war wurden alle Kräfte gebraucht, da die „Experten“ sich noch auf der Cubase VST Seite befanden.
Mir war klar, dass ich mich damit mehr oder weniger arbeitslos machen würde, da die Sachen, die ich bisher gemacht hatte, jetzt von ganz anderen Leuten gestaltet wurden. Auch die Umstellung auf neue Programmier-Konzepte war für mich als Hardcore C-Programmierer nicht leicht.
Man hatte zu Zeiten des geplanten Börsenganges auch keine Mühen gescheut, wirklich gute Leute an Bord zu nehmen. Ich kann als ewiger Autodidakt nur meinen Hut vor Mario Ewalds Leistung beim Programmieren von Nuendo ziehen!
Für die SX-Version habe ich nur noch die Sachen nachgetragen, die bei Nuendo 1.0 „übersehen“ wurden: (z. B. MIDI-Plug-ins, Logical Edit und viele, viele „Kleinigkeiten“). Brauchte dafür ein dickes Fell, um all die „Hiebe“ wegen meines schlechten Programmierstils einzustecken …
Wie war das mit Pinnacle und was hat sich zu der Zeit verändert?
Die Übernahme kam 2002: Zahltag für Manfred und Charlie. Der Kuchen (24 Millionen Dollar), dessen Wert viele Mitarbeiter 18 Jahre lang gesteigert haben, wird aufgeteilt. Leider gehen die Mitarbeiter der ersten Stunde leer aus (jeder unterm Strich ca. 0,1 %), dafür gibt es viel Geld für Leute, deren Verdienste um die Firma sich mir nie erschlossen haben.
Auf die Firma wurde ein gnadenloser Sanierer losgelassen, der nur noch die Sparten übrig ließ, die einen hohen Profit versprachen. Auch Abteilungen, die sich selbst getragen hätten, wurden dicht gemacht.
Ich hatte nie den Eindruck, dass das Management bei Pinnacle gewusst hat, was es da erworben hatte. Auf jeden Fall wussten sie nichts mit uns anzufangen.
Die Manager bei Pinnacle hatten wohl mehr Interesse, noch genügend Geld für das angesammelte Aktien-Paket zu erlösen (Pinnacle wurde ja auch mittlerweile an AVID verkauft!). Auf jeden Fall verdanken wir Pinnacle eine überbordende Bürokratisierung.
Als Cubase 1.0 für den ATARI herauskam, hatten wir einen Produkt-Spezialisten, der eigentlich nur vermarktete, was das Entwicklungsteam ihm vorsetzte. Das Verhältnis von Entwicklern zu „Produkt-Spezialist“ war ungefähr 7:1. Unter Pinnacle hat sich das Verhältnis auf ca. 1:1 erhöht, wenn man die QA (Qualitätssicherung) mitzählt, die es in der Anfangszeit natürlich auch nicht gab.
Heute hat man den Programmierern viel ihrer ursprünglichen „Macht“ genommen. Mittlerweile muss ich mir alle neuen Features erst mal genehmigen lassen, oder Sie werden einfach gekippt, damit ein Feature genau nach den Vorstellungen der „Spezialisten“ gebaut wird. Für die „Senior“ Developer war es sehr ungewohnt, auf einmal zum „Befehlsempfänger“ zu werden. Ich habe mich zu Zeiten von Cubase VST immer wieder weigern können, bestimmte“ Features“ einzubauen, wenn ich meinte, sie widersprächen dem „Geiste“ des Programms. Diese Zeiten sind zumindest für mich vorbei.
In der Pinnacle-Phase habe ich dann nur noch Teilzeit gearbeitet, da ich nach über 20 Jahren Coding, viel Arbeit und kaum Urlaub, mehr Zeit haben wollte, um mit unseren Produkten mal wieder Musik zu machen.
Zum Glück wurden mir dafür meine neuen „esoterischen“ MIDI-Plugins „Arpache SX“ und „Context Gate“ im Programm belassen und blieben nicht wie einige andere Sachen unveröffentlicht.
In dieser Zeit wurde ich dann in die paradoxe Lage versetzt, die Programme, an denen ich selber mitwirke, als Raubkopie aus dem Netz zu ziehen, da es für freie Mitarbeiter nur mit großem bürokratischen Aufwand möglich war, mehrere Lizenzen / Dongles zu bekommen. Andererseits wusste man jetzt genau, woran man war: es zählten nur Aktien-Optionen und Quartalszahlen. Aber bei Pinnacle wurden die Mitarbeiter zumindest an der Firma beteiligt!
Das Fazit deiner Zeit bei Steinberg?
Finanziell sieht mein Fazit bei Steinberg eher durchwachsen aus. Ich fand das Programmieren aber immer viel zu spannend, als mich um finanzielle Dinge zu kümmern oder mich auf Schlammschlachten einzulassen. (Zu viel ans Geld zu denken, ist ja auch nicht gut fürs Karma …)
Ich muss das hier mal erwähnen, weil so viele Leute glauben, ich wäre bei Steinberg Millionär geworden: Alles in allem habe ich in 20 Jahren bei Steinberg im Schnitt in etwa das Gehalt eines Volksschullehrers bekommen (allerdings ohne Rentenansprüche …).
Am Ende hat dann von meinen Pro-24-Tantiemen das meiste das Finanzamt bekommen, da ich jahrelang auf meine Forderungen Vermögenssteuer gezahlt habe. Und als dann alle Verbindlichkeiten auf einmal zurückgezahlt wurden, hat der Spitzensteuersatz fast die Hälfte geschluckt.
Nach der Übernahme durch Yamaha ist auf jeden Fall bei wohl allen Beteiligten bei Steinberg – auch bei mir – die Lust, kreativ die laufenden Projekte weiterzuentwickeln, zurückgekehrt.
Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren die Organisations-Struktur bei Steinberg im positiven Sinne verändert wurde (Stichwort: Scrum). Derzeit können die Entwickler wesentlich leichter auch eigene Ideen im Programm unterbringen als früher. Ich bin derzeit auch mal wieder dabei, ein neues Feature für die 6.0 Version zu implementieren u. a. auch wieder mit Michael Michaelis. Ist mal wieder etwas, das „die Anderen“ noch nicht haben – was ja immer am spannendsten ist …
Aus heutiger Sicht – bist du glücklich mit deinem Job bei Steinberg?
Ich denke, es war eine sehr gute Entscheidung bei Steinberg einzusteigen. Ich habe in dieser Zeit weitgehend selbstbestimmt die Entwicklung des mittlerweile weltweit erfolgreichsten Musik-Programms mitgeprägt und war nie gezwungen, mich all zu sehr zu verbiegen. Wo gibt es schon einen Job bei dem man 20 Jahre lang nicht einmal in Schlips und Kragen erscheinen und sich letztlich nur den „Usern“ gegenüber verantwortlich fühlen muss?
Vielen Dank für das Gespräch!
Jörn Daberkow