Test: Celemony Melodyne 4 Studio

Der zweite große Schritt: Melodyne DNA

Melodyne revolutionierte mit seinem Erscheinen im Jahr 2001 den Studioalltag weltweit. Doch wer nun damit rechnete, dass es beim Verbessern der Erkennungs-Algorithmen und beim Ausstaffieren der Studio-Version mit neuen Werkzeugen bleiben würde, erlebte 2008 die nächste große Überraschung:

Im Jahr 2008 erschien eine (einspurige) Plug-in Version. Anstelle der Melodyne Bridge der Studio-Version, war es nun möglich, bei Bedarf mehrere Instanzen von Melodyne DNA in einzelne (Stereo- oder Mono-) Kanäle zu laden und dort die Blobs zu bearbeiten. Das Werkzeug für die Anfangsgeschwindigkeit der Noten blieb zunächst der Studio-Version vorbehalten, doch DNA (Direct Note Access, zu deutsch „direkter Zugriff auf die Noten“) brachte eine lang herbeigesehnte, wenngleich nicht für möglich gehaltene Revolution mit sich:

DNA war in der Lage, polyfones Material zu bearbeiten. Damit war die Software DAS Highlight der Frankfurter Musikmesse 2008. Als Peter Neubäcker, Mastermind von Celemony, seinen Vortrag hielt, bildete sich rasch eine gebannt staunende Menschentraube um den Celemony-Stand, es wurde gejubelt und geklatscht, denn anders als seinerzeit bei der Präsentation von Windows 2000 durch Bill Gates, stürzte der Rechner nicht ab, es gab keine Hänger, und was sich auf dem Bildschirm tat und über die Monitore erklang, erschien wie Zauberei, Magie, artefaktfrei und perfekt – schlicht genial.

Der neue Algorithmus für polyfones Material funktionierte reibungslos mit Akkordbegleitungen einer Gitarre und sogar mit dem Mix einer Jazz-Band. Fairerweise wies Peter Neubäcker darauf hin, dass ein multiinstrumentaler Mix mit DNA nur in Glücksfällen artefaktfrei bearbeitet werden kann, nämlich dann, wenn die Instrumente gut voneinander getrennte Teilbereiche des Frequenzspektrums für sich beanspruchen.

Das hat sich bis heute nicht geändert: Der polyfone Algorithmus ist auf die Bearbeitung eines polyfon gespielten Instruments (Gitarre, Harfe, Piano) oder einer Gruppe von Instrumenten derselben Gattung (etwa eines Bläserensembles) geeignet. Gelegentliche Korrekturen der Analyse sind auch in diesen Fällen notwendig. Getrennt wird dabei stets nach der Tonhöhe. So entstand schließlich das zugehörige Produkt Melodyne Editor.

Was Peter Neubäcker damals nicht verriet, war, dass man den polyfonen Algorithmus auch zweckentfremden kann. Analysiert man damit monofones Material oder nimmt bewusste falsche Erkennungen in Kauf (Grundton und Obertöne werden getrennt voneinander abgebildet), so kann man durch Änderungen der Formanten, extreme Verbiegungen des Tonhöhenverlaufs oder Dehnungen von Teiltönen ein experimentelles Klangdesign umsetzen, welches mit keiner anderen Software möglich ist. Das gilt auch für die aktuelle Version Melodyne 4 – dort tun sich aber noch ganz andere Möglichkeiten auf (s. Kapitel „Der Sound Editor“).

In meinem Track „Fragile Piano Suffering Under Microorganisms“ habe ich das Klavier auf diese Weise verfremdet. Alles Blubbern, Knistern, Rascheln und Knacken geht auf Verfremdungen von Teiltönen zurück, die ich anschließend mit externen Effekten bearbeitet habe.

 

Die Bearbeitung multiinstrumentalen Materials ist bis heute eine Disziplin, an der sich die Hersteller die Zähne ausbeißen. Meist reicht die Qualität nicht über Karaoke-Anwendungen hinaus, wenn es darum geht, den Gesang aus einem Mix zu löschen oder weitgehend zu unterdrücken. Hierzu gibt es eine passable Lösung von Roland (R-Mix).

Stephan Bernsees ambitionierte Software Isolate zielte auf die Entfernung von Gesang oder auch Instrumenten, allerdings nur für Mac OSX und für ältere Betriebssysteme (Stand 2013). Die Entwicklung wurde inzwischen eingestellt. Doch das bei Isolate entstandene Wissen ist in Funktionen von Zynaptiq-Software eingeflossen, etwa Pitchmap oder Unmix::Drums. Bei Pitchmap geht es darum, Tonhöhen einzelner Signale innerhalb eines Mixes zu verändern, Unmix::Drums erlaubt eine nachträgliche Korrektur an der Präsenz von Drums innerhalb eines Mixes. Ein Test dieser Plug-ins wird voraussichtlich in ein paar Wochen auf releasetime folgen.

Fortgeschrittene Restaurationssoftware wie iZotope RX, eigentlich gedacht, um Störsignale zu entfernen, ermöglicht es (in akribischer Geduldsarbeit) ebenfalls, Teilspektren einer Klangquelle zu erkennen und zu löschen.

Jedes dieser Programme/Plug-ins verfolgt eigene Ziele und eignet sich für unterschiedliche Anwendungen. Überschneidungen mit Melodyne 4 sind kaum gegeben.

Melodyne 4 – Die Versionen im Überblick

Ähnlich wie bei der Taufe von Melodyne und der Veröffentlichung von Melodyne DNA sieben Jahre später ist auch heute, zum 15-jährigen Jubiläum der Software wieder ein großer Wurf geglückt.

Die von uns hier getestete, mehrspurige un größte Version Melodyne 4 Studio, läuft auf Mac OS X und auf dem PC auf 32 sowie 64-Bit-Betriebssystemen in den Plug-in Formaten VST 2/3, AU, RTAS, AAXnative, ARA, Rewire. Genaue Angaben zu den Systemvoraussetzungen finden Sie auf der Seite des Herstellers, die wir im Anhang verlinken. Die Lizenz erfolgt wahlweise per Challenge/Response oder auf einem iLok 2.

Im Plug-in Betrieb werden im Gegensatz zu den unten aufgeführten kleineren Versionen alle mit Melodyne analysierte Spuren in einem gemeinsamen, skalierbaren Fenster dargestellt. Dort kann man bei der Bearbeitung komfortabel von Track zu Track wechseln.

Neben der großen Studio-Version (Preis: 699.- EUR) gibt es

  • Melodyne 4 essential. Diese Lösung beschränkt sich als Plug-in auf die Basis-Werkzeuge für die Tonhöhen- und Timing-Bearbeitung. Ein Upgrade zu den umfangreicher ausgestatteten Versionen ist gegen Zahlung des Differernzpreises jederzeit möglich (Preis: 99.- EUR).
  • Melodyne 4 assistant verfügt über die komplette Auswahl an Werkzeugen, beschränkt sich aber auf die Bearbeitung monofonen Audiomaterials (Preis: 249.- EUR).
  • Melodyne 4 editor beinhaltet zuzüglich zu der Ausstattung von Melodyne Assistant die Algorithmen zur Erkennung mehrstimmigen Materials (DNA), eine hochpräzise Tempoerkennung und -bearbeitung sowie üppige Funktionen zur Erkennung und Veränderung von Skalen.