Test: Celemony Melodyne 4 Studio
Pünktlich zur Namm 2016 präsentierte Celemony die neueste Generation seiner vielfach ausgezeichneten Pitch/Time-Software. Melodyne 4 avanciert damit zu einem einzigartigen Klang-Designer.
Die grundlegenden und umfangreichen Funktionen zur Notenbearbeitung auf Audiobasis bleiben natürlich erhalten und werden erweitert.
Inhalt:
- Was bisher geschah
- Der zweite große Schritt: Melodyne DNA
- Melodyne 4 – Die Versionen im Überblick
- Grundlegende Eigenschaften von Melodyne 4
- Neu in Melodyne 4
- Der Sound Editor PSS „Polyphonic Spectrum Shaping“
- Bedienbarkeit
- Fazit
Hinweis: Die hier abgebildeten Screenshots sind aufgrund der Beschränkung der Seitenbreite teilweise stark verkleinert. Damit die Seite schneller geladen (und von Google geliebt) wird, haben wir die Screenshots zudem komprimiert. Die Originalgrafik ist also in den meisten Fällen deutlich klarer und besser zu erkennen. Alle Bedienelemente in Melodyne 4 sind ausreichend groß dimensioniert, sodass ein komfortables Arbeiten möglich ist.
Zusammenfassung
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Kurzfassung
Celemony hat mit Melodyne 4 erneut Neuland bei der Klangbearbeitung betreten. Mit dem Sound Editor ist ein leistungsstarker Klangdesigner an Bord, der konkurrenzlos völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Für die Ohren ist das pure Magie. Die Ergebnisse sind einzigartig, inspirierend. Man erlebt bislang Ungehörtes und kann dies minutiös und intuitiv formen. Suprenübergreifendes Bearbeiten in Melodyne 4 Studio und eine geniale, hoch sensitive Tempoerkennung und Übertragung eines Referenz-Grooves auf andere Spuren sind Funktionen, die das Musikerleben deutlich erleichtern und die Arbeit mit dem Computer musikalischer werden lassen. Ein Sortiment unterschiedlich ausgestatteter und bepreister Melodyne-Versionen ermöglicht die Wahl des passenden Pakets zu einem fairen Kurs. Auch die Updates gibt es zu ausgesprochen fairen Konditionen.
Benutzer-Bewertung
( Stimmen)Was bisher geschah
Das Münchner Unternehmen Celemony startete im Jahre 2001 mit der Melodyne Studio Software. Der Audio-Editor analysierte monofone Audioereignisse so, dass deren Tonhöhe und deren tonloser Anteil, die Formanten, anschließend getrennt bearbeitet werden konnten. Nun war es möglich, Transponierungen ohne den berüchtigten Mickey-Maus-Effekt vorzunehmen, ebenso das Dehnen und Stauchen einzelner Noten, das Schneiden, Kopieren und Re-Arrangieren.
Die Software war nicht nur in der Lage, die ungenaue Intonation einer Gesangsaufnahme sowie Timingfehler zu beheben, sondern sie erlaubte es, eine künstliche Stimmendopplung oder gleich einen mehrstimmigen Gesang aus nur einem Take zu zaubern.
Das Transponieren erlaubte erstmals die Anpassung monofonen Audiomaterials an eine Vielzahl von Skalen, darunter auch exotische Varianten. Verschiebte man die Noten vertikal, so konnte und kann man sie auf den Tönen der gewünschten neuen Skala einrasten lassen. Auch unerwünschte Übertreibungen der Tonhöhenkurve innerhalb einer Note ließen sich begradigen.
Toningenieure und Produzenten atmeten weltweit auf: Wenn die Sängerin mal einen schlechten Tag erwischt hatte, war das nur noch halb so schlimm. Melodyne half nicht nur kostbare Studiozeit einzusparen, sondern räumte in der Praxis auch manches Konflikt- und Diskussionspotenzial zwischen Toningenieur, Produzent und Sänger(in) aus der Welt. Abgesehen von Intonationskorrekturen war es nun auch möglich, allzu starke Timingabweichungen bei unsauber gedoppelten Stimmen auszugleichen (s. unten: Timingwerkzeuge).
Besitzer von Sample-Libraries mit Gesangs-Loops oder Aufnahmen von Solo-Instrumenten entdeckten in dem bis dahin recht unflexiblen und nur begrenzt einsatzfähigen Material plötzlich eine reichhaltige Fundgrube vielseitig verwendbarer Audioclips. Starre Vorgaben von Tonart und BPM hob Melodyne auf, denn das Transponieren und Quantisieren von monofonem Audio stellte plötzlich kein Problem mehr dar.
Bis dahin gab es nur Hardware wie den Eventide Harmonizer, der Zweit-, Dritt- und Chorstimmen mit definierter Zeitverzögerung und Feedback generieren konnte. Er war allerdings ein Effektgerät, keine Software mit Korrektur- und Arrangierpotenzial und dem Luxus, einzelne Noten anzufassen.
Berühmt-berüchtigt war auch der bis zum Exzess abgenudelte AutoTune-Effekt der gleichnamigen Software von Antares, der sich bei harten Tonhöhenquantisierungen mit schnellen, sprunghaften Tonhöhenwechseln einstellte. Das konnte Melodyne von Anfang an auch, denn Lautstärke-, Tonhöhen- und Formantenübergänge können in Melodyne schnell oder langsam gestaltet werden.
Für mich persönlich war Meloyne Studio, welches sowohl standalone als auch über die Melodyne-Bridge bald im Host-Sequencer über mehrere Spuren hinweg eingesetzt werden konnte, ein regelrechter Befreiungsschlag. Eine Software, die völlig neue Perspektiven eröffnete.
Randnotiz: Außerdem begann mit Melodyne 2.0 meine Zeit als Testautor. Der Inhaber des Labels, unter dem ich damals meine Alben veröffentlichte (Christian Wirsig, Novatune), wusste, dass ich viel mit Melodyne arbeitete und schlug mir vor, einen Testbericht für Musician’s Life zu schreiben.
Zur Auflockerung starten wir mit ein paar Audiodemos.
Mein Song Linda Morena (2003) ist ein guatemaltekisches Volkslied, vorgetragen von Anna José Lima Martinez. Als ich an dem Song arbeitete, war Anna José längst wieder in ihrer Heimat, Guatemala. Die ohne Metronom eingesungene Solostimme habe ich mit Melodyne zu einem mehrstimmigen Gesang ausgebaut, den einzelnen Stimmen dabei unauffällige Unregelmäßigkeiten (Timing/Tonhöhenschwankungen) und unterschiedliche Formanten (stimmfärbende Klangelemente) verliehen, damit es sich nach mehreren Sängerinnen oder zumindest nach mehreren Aufnahmen und nicht nach punktgenau getakteten Klonen anhört.
Anna José hat auch noch ein Kirchenlied eingesungen – mit Versen wie „Jesús, te adoro“ (Jesus, ich bete dich an). Daraus ist „Ciri a Doro“ geworden. In gewisser Respektlosigkeit der katholischen Kirche gegenüber habe ich die Silben komplett neu arrangiert und daraus eine Phantasielyrik entwickelt – das wäre ohne Melodyne unmöglich gewesen. Sie werden einige lustige Passagen entdecken, in denen ich einfach dieselbe Silbe transponiert aneinandergereiht habe „bom bom bom bom …“.
Hier ein Beispiel für die Verwendung von „Dosenvocals“, mein Song „Monkey Party“ (2002): Der Ethno-Gesang stammt von der Sample-CD Zero G Voices of Africa. Trotz unsauberer Aufnahme mit Hintergrundgeräuschen war es mit Melodyne Studio möglich, die Stimme zum Tempo zu synchronisieren und ein Ensemble daraus zu machen:
Schließlich gibt es noch ein extrem wildes Gitarrensolo aus einem bislang unveröffentlichten Stück von The Headroom Project – unveröffentlicht deshalb, weil mir der Mix leider irreparabel entglitten ist. Mit frei:raum von Sonible konnte ich das aus dem Ruder gelaufene Frequenzspektrum einigermaßen begradigen und mit Brainworx Refinement den harschen digitalen Klang etwas angenehmer machen. Aber zurück zu Melodyne:
Die Töne zum Solo dazu habe ich zwar leibhaftig mit meiner Gitarre eingespielt. Zu solchen aberwitzigen Riffs, wie ich sie durch die Montage der einzelnen Blobs mit Melodyne entwickelt habe, wäre ich aber im Traum nicht in der Lage gewesen. Dabei habe ich einzelne Töne oder Notenfragmente teils zigfach wiederholt und daraus einen rasanten Lauf gebastelt. Den Bass habe ich übrigens auch selbst eingespielt und hinterher mit Melodyne angepasst. Der Zeitaufwand hielt sich mit etwa zwei Stunden für das ganze Solo samt Bass in Grenzen, der Spaßfaktor war hoch.
Im Laufe der Jahre erfuhr Melodyne deutliche Erweiterungen der Möglichkeiten. So war es bald möglich, auch die Anfangsgeschwindigkeit der Noten zu verändern und damit Einfluss auf die wichtige und charakteristische Attackphase zu nehmen. Zusammen mit der Bearbeitung von Formanten eröffneten sich erste Optionen für ein Klangdesign.
Daneben wurde eine Umwandlung der analysierten Audiodateien in eine MIDI-Datei möglich. Gesungene Passagen konnten so von Solo-Instrumenten übernommen werden.
Das ist natürlich auch mit der aktuellen Version Melodyne 4 Studio möglich.
Die Tonhöhenkurve setzte Melodyne leider nicht in Pitchbend-Befehle um. Bei Portamento oder Glides erfolgte der Notenwechsel in der MIDI-Datei auf halber Strecke des fließenden Tonübergangs. Fließende Tonhöhenübergänge mussten also per Pitchbend nachgearbeitet werden. Unterm Strich funktionierte die MIDI-Übertragung jedoch gut. Es ergeben sich spannende neue Möglichkeiten.
Im Folgenden hören Sie ein Saxofon-Solo, welches ich auf eine Gitarre übertragen habe. Pitchbending habe ich nicht nachträglich hinzugefügt. Zunächst das Saxofon-Solo (aus der Ueberschall-Library Saxophone), welches von Melodyne auf Anhieb sauber erkannt wurde:
Nebenbei: Melodyne verwendet automatisch den passenden Algorithmus. Nach dem Laden des Plug-ins braucht man also nur den Bereich einstellen, der bearbeitet werden soll und auf „transfer“ klicken.
Nun zusammen mit der Gitarre (verwendet habe ich eine Ample Sound Gibson G2):
Hier habe ich die Gitarre mit einem Preset aus Positive Grid Bias FX Professional bearbeitet (Amp/Speaker/FX-Simulation). Die Drums stammen von Toontrack EZX Traditional Country für EZdrummer und laufen über den Audified U73b Compressor/Limiter.
Anstelle eines gesampelten Instruments kann man natürlich auch einen Synthesizer verwenden. Synthesizer mit Portamento oder Glide können dann auch die fehlenden Pitchbendings automatisch generieren. Hier hören Sie einen Sound aus FXpansion DCAM Synth Squad/Cypher zusammen mit Saxofon und Drums. Für den Synthesizer habe ich wieder Bias FX Professional verwendet.
Nachdem die Algorithmen für die Erkennung monofonen melodischen und perkussiven Materials weiter perfektioniert und die Artefakte minimiert wurden, war es bald auch möglich, polyfones Material zu dehnen und zu stauchen, allerdings ohne Zugriff auf die einzelnen Noten.