Test: Native Instruments Vintage Organs
|Die Vintage Organs von Native Instruments sind ein echter Klassiker unter den virtuellen Instrumenten. Neben der obligatorischen Hammond B3 wurden mit der C3 und der M3 zwei weitere Legenden virtuell geklont. Zusätzlich bieten die Vintage Organs mit der Vox Continental II und der Farfisa Compact die beiden wohl bekanntesten Transistor-Orgeln. Ob ‚Vintage Organs‘ das Rumdum-Sorglos-Paket in Sachen Rock/Blues/Jazz-Orgel ist, erfahren Sie hier.
Hinweis: Um diese Seite schnell laden und auch auf mobilen Endgeräten darstellen zu können, sind die Abbildungen stark datenkomprimiert. Im Anhang finden Sie eine Galerie mit den Originalscreenshots.
Installation, Autorisierung und System-Anforderungen
Der Download funktioniert völlig problemlos mittels des von Native Instruments gewohnten Downloaders, der das etwa eineinhalb GB Datenpaket in einen beliebig wählbaren Ordner herunterlädt. Die Vintage Organs laufen plattformübergreifend in den gängigen Plug-In-Formaten auf Kontakt und dem kostenlosen Kontakt Player. Dort werden Sie über den Activate-Button im Library-Icon und die anschließende Eingabe der Seriennummer im NI Service-Center freigeschaltet.
Geschichte
Die Hammond-Orgel war ursprünglich als günstigere Alternative zu den Kirchenorgeln entwickelt worden. Als solche konnte sie sich zwar nie wirklich durchsetzen, aber dafür wurde sie zuerst bei Jazz-Musikern und später in Blues, Rock und Reggae zunehmend beliebter. Zeitweise kam kaum eine populäre Band ohne Hammond aus.
Die Klangerzeugung dieser sogenannten elektromechanischen Orgeln erfolgt mit bis zu 96 rotierenden Tonewheels, die vor elektromagnetischen Tonabnehmern montiert sind. Der große Nachteil der Hammond-Orgeln ist die daraus resultierende Größe und das entsprechende Gewicht. Auch das unabdingbare Leslie-Kabinett ist nur schwer zu transportieren.
Um die Hammonds kompakter und transportfreundlicher zu machen, entwickelte Vox die Orgeln der Continental-Reihe, die ihre Klänge durch Transistor-Schaltungen und Filter erzeugte. Die Farfisa-Orgeln aus Italien waren ursprünglich als noch günstigere Alternative zu den Vox-Orgeln gedacht. Sowohl die Orgeln von Vox als auch die von Farfisa haben aber jeweils solch eigenstädige charakteristische Klänge, dass sie selbst zu Klassikern wurden, die aus der Musikgeschichte nicht mehr wegzudenken sind.
Dies soll an dieser Stelle als kleine Einführung in die sehr interessante Geschichte der Hammond-Orgel und ihrer Nachahmer reichen, für Interessierte gibt es im Netz ganze Webseiten über die Geschichte der verschiedenen Orgeln. Als Einstieg bieten sich z. B. die Artikel bei Wikipedia an. In der englischsprachigen Bedienungsanleitung der Vintage Organs wird ebenfalls kurz auf die Geschichte und die Besonderheiten der gesampelten Orgeln eingegangen.
Überblick
Kaum ein Instrument kann derartig vielseitige Klänge produzieren wie eine Orgel mit Zugriegeln. Durch die bis zu 9 Zugriegel (pro Manual), die diversen Einstellungen für ‚Percussion‘ und die diversen Einstellungen des Vibrato/Chorus-Effektes stehen schon unzählige Grundsounds zur Verfügung. Wenn man diese noch mit verschiedenen Verstärker-Einstellungen und dem Leslie-Effekt (der ja mit slow und fast auch noch mal zwei völlig unterschiedliche Grundsounds bietet) paart, ergibt sich ein Instrument, dass sich gleichermaßen für Flächen (Neudeutsch ‚Pads‘), für beidhändige Grooves und für spannende Soli eignet.
Zuordnung der Tastatur zu den beiden Manualen der Orgeln
Bis auf die Farfisa haben alle Orgeln zwei Manuale. Damit sie auch mit einer Tastatur gut spielbar sind, gibt es diverse Einstellungsmöglichkeiten, um die Tastatur den beiden Manualen zuzuordnen. Der Mode-Regler auf der jeweiligen Organ-Page (s. u.) hat vier Positionen: Es wird entweder nur das Upper Manual oder nur das Lower Manual angesprochen oder die beiden Manuale werden mit MIDI-Split (unterschiedliche MIDI-Kanäle) oder Key-Split (unterschiedliche Teile der Tastatur) angesprochen. Man kann auch mitten im Song wechseln, so dass man z. B. in einem Teil des Songs mit dem Sound des Upper Manual spielt und in einem anderen mit dem Lower Manual. Wie so ziemlich alle Regler und Knöpfe der Vintage Organs kann auch der Mode-Regler einfach per MIDI-Learn-Funktion einem beliebigen MIDI-Controller zugewiesen werden.
Das Interface – Die unterschiedlichen Ansichten der Instrumente
Das Interface gliedert sich bei den Vintage Organs in vier (Farfisa: drei) Ansichten:
- Model Page
- Organ Page
- Amp Page
- Settings Page
Die jeweilige Model-Page bietet eine hübsche Abbildung des jeweiligen Instrumentes, aber keine Einstellmöglichkeiten.
Auf der Organ Page kann man wie beim jeweiligen Original die Zugriegel (Farfisa: Kippschalter), Schalter und Drehregler einstellen. Außerdem werden hier die Organ-Presets aufgerufen (siehe unten) und die Zuordnung der Tastatur zu den beiden Manualen der Orgel vorgenommen (siehe oben). Der Leslie-Effekt kann mit dem entsprechenden Kippschalter zwischen slow und fast hin- und hergeschaltet werden. (Auf der Amp-Page kann das Leslie noch weiter modifiziert werden.)
Auf der Amp-Page kann man den Verstärker feinabstimmen, ein Cabinet wählen (natürlich inklusive Leslie), den Reverb, das Leslie und die Orgel selbst feinabstimmen. Die Feinabstimmungen des Leslies und der Orgel gab es bei den echten Instrumenten so natürlich nicht. Da aber unter anderem durch Abnutzung der Tonewheels auch in der Realität keine Hammond exakt wie die andere klingt, es faktisch also nicht den einen Hammond-Sound gibt, kann man die Instrumente hier praktischerweise dem eigenen Geschmack anpassen. Sozusagen ‚Build your own Dream-Hammond’… :-)
Beim Leslie kann man mit ‚Accel-Lo‘ und ‚Accel-Hi‘ bestimmen, wie schnell der hohe bzw. tiefe Speaker beschleunigt / abbremst und ‚Balance‘ regelt den Mix zwischen hohem und tiefen Speaker.
Die Organ Controls erlauben den Zugriff auf Velocity, Attack und Release, wobei eine echte Hammond natürlich überhaupt keine Anschlagsempfindlichkeit hat, sondern mit dem Schwellpedal in der Lautstärke gesteuert wird. Die Anschlagsempfindlichkeit ist also wieder ein optionaler Bonus, den es beim Original nicht gab und den man natürlich abschalten kann, wenn es besonders authentisch klingen soll.
Die Verstärker-Simulation bietet zuerst einmal die grundsätzliche Wahl zwischen ‚Modern‘ und ‚Vintage‘ und dann die üblichen Klangregler (eine 3-Band-Klangreglung, einen Tone-Regler und einen Drive-Regler).
Auf der Settings-Page werden Zuordnungen vorgenommen (Keysplit-Punkt, Zuordnung der MIDI-Kanäle zu den einzelnen Manualen, Funktion von Sustain-Pedal, Mod-Wheel, Pitchbend-Wheel etc.). Bei der einmanualigen Farfisa-Orgel fehlt die Settings-Page.
Wenn man mit fertigen MIDI-Organ-Grooves arbeitet oder wenn man mit nur einer Tastatur spielt, sollte der Splitpunkt jeweils sorgfältig gewählt werden, sonst klingt es etwas merkwürdig, wenn z. B. plötzlich ein Basston mit dem Sound des Upper Manuals gespielt.
Praxis und Sound-Beispiele
Hören für uns zunächst einmal ein paar der zahlreichen Presets an, um einen ersten Eindruck zu bekommen.
Die 100 Presets sind übrigens sehr aussagekräftig benannt (‚Child In Time‘, ‚Green Onions‘ etc.) und übersichtlich sortiert (Ordner wie ‚Jazz‘, ‚Classic Rock‘ und ‚Transistor‘).
Die Basis-Presets der fünf Orgeln:
Die B3:
Die C3:
Die M3:
Die Farfisa:
Und schließlich die Vox Continental II:
Teilweise ist mir das schon etwas zuviel in den Höhen, aber das könnte man ja problemlos nachregeln. Um die Durchsetzungsfähigkeit im Mix mache ich mir jedenfalls keine Sorgen…
Organ-Presets
Innerhalb jedes Presets gibt es wie bei den Original-Hammond-Orgeln zusätzliche 12 Presets, die sich mit den Tasten der Oktave C0 bis B0 aufrufen lassen. Diese Presets können auch über den MIDI-fizierbaren Presetregler aufgerufen werden (falls man eine kleinere Tastatur mit weniger Tasten hat).
Praktischerweise wurde dabei die Beschränkung der Originale ignoriert und die Organ-Presets rufen nicht nur unterschiedliche Drawbar-Settings auf, sondern passen auch die Vibrato- und Percussion-Settings an. Die Einstellungen des Amp-Tabs ändern sich beim Umschalten der Organ-Presets nicht. Wenn man die Einstellungen modifiziert, können diese natürlich als eigenes Organ-Preset auf einem der 12 Speicherplätze gespeichert werden.
Jetzt hören wir mal in die zahlreichen Presets rein und schauen, wozu diese Klänge so inspirieren…
Die B3 mit dem Preset Basic Rock 3:
Ich liebe Stereo-Effekte (Preset Errol G):
Gimme Some Loving!
Time Of The Season:
Whiter Shade…
Basic Gospel 2:
Zur Abwechslung mal keine Hammond, sondern die Farfisa mit dem Preset Crocodile:
Richtig schön funky geht auch, dieses Beispiel könnte man sicher auch mit einem Clavinet spielen:
Das Preset Born To Be Wild macht richtig Spaß…
… das muss ich gleich nochmal spielen!
Und weil es so viel Spaß macht, dasselbe Beispiel nochmal mit einer schön fiesen Farfisa:
Auch bei den folgenden Beispielen probiere ich mal, wie man mit einfachsten Änderungen den Sound und die Stimmung ändern kann.
Z. B. das Preset Oye Como Va:
… klingt nur mit dem Lower-Manual gespielt so:
Für solche Flächen-Sounds ist das Leslie-Cabinet wie geschaffen:
Man muss fast nichts machen, und trotzdem klingt das Ganze durch die Bewegung des Leslies alles andere als langweilig.
Und noch eine Variation dieses Klangs (nur das Upper Manual, während eben nur das Lower Manual des Spinning Wheel-Presets im Einsatz war):
Auch dieser Flächenklang lebt vom Leslie:
An diesem Klang hätten sicher auch die Beatles während ihrer Strawberry-Fields-Phase Spaß gehabt. Es ist das Flower Pops-Preset, an dem ich etwas herumgeschraubt habe:
Immer wieder faszinierend finde ich, wie ein einfacher Oktavsprung den Klang und das Feeling verändern kann. Die linke Hand spielt die ganze Zeit dasselbe, die rechte Hand springt nach vier takten eine Oktave höher:
Hören wir uns jetzt mal den Einfluss des Amp-Typs an. Ich schalte alle zwei Takte um (beginnend mit ‚Vintage‘). Der moderne Amp klingt deutlich verzerrter, höhenlastiger und aggressiver.
Spannend ist auch, wie ein ‚unpassender‘ Klang einen Standard-Groove viel interessanter machen kann. Klingt schon wieder irgendwie nach den späten Beatles…
Und so klingt das Hammond-typische umschalten von Leslie slow auf Leslie fast (in der Mitte des Bespiels, und dann noch zwei mal):
Und so klingt es, wenn man während des Spielens die Organ-Presets umschaltet:
Auf der Website von Native Instruments gibt es übrigens zahlreiche komplett produzierte Tracks, auf denen man die Vintage Organs im Band-Kontext in verschiedenen Stilistiken hören kann.
Insgesamt klingt die B3 von Native Instruments etwas kratziger, aggressiver oder bissiger als die VB3 von GSI, die etwas weicher klingt. Das ist aber keine Wertung im Sinne von ‚besser‘ oder ’schlechter‘, sondern eher Geschmackssache und eine Frage des Musikstils bzw. des Mixes. Während die weicheren Sounds der VB3 meinem persönlichen Geschmack eher entsprechen, punktet NI mit den zusätzlichen Transistor-Orgeln, die ich bei GSI vermisse, so dass ich in meiner persönlichen Sammlung keines dieser beiden virtuellen Instrumente missen möchte, da sie sich sehr gut ergänzen. Auch sind die zahlreichen inspirierenden Presets und die umfassenden und trotzdem übersichtlichen Editiermöglichkeiten klare Pluspunkte der Vintage Organs. Ich hatte jedenfalls eine Menge Spaß beim Testen dieser Software und habe richtig Lust bekommen, mal wieder einen schönen Blues mit Orgel einzuspielen…
Sonstiges
So ziemlich alle Regler der Vintage Organs verfügen über MIDI-Learn und Host-Automation.
Die Bedienungsanleitung gibt es – wie von Native Instruments gewohnt – nur in englischer Sprache.
Fazit
Die Vintage Organs von Native Instruments sind sehr vielseitig und decken so ziemlich alle Orgel-Sounds der populären Musik ab. Das Instrument zeichnet sich durch eine intuitive Bedienung und gelungene Optik aus und richtet sich mit seinen zahlreichen guten, abwechslungreichen und aussagekräftig benannten Presets und den detaillierten Editiermöglichkeiten gleichermaßen an ‚Einfach-nur-spielen-Woller‘ und Sound-Tüftler. Der Preis ist angemessen.
Andi Saitenhieb
Plus
- alle drei Orgel-Klassiker, die Hammond sogar in drei Variationen
- 100 gute Presets mit aussagekräftigen Namen für schnelles Auffinden eines passenden Sounds, sortiert in ebenfalls aussagekräftige Ordner
- tiefgreifende Editiermöglichkeiten
- Übersichtlichkeit / Aufbau, intuitive Bedienung
- sparsamer RAM-Bedarf
- Optik
Minus
–
Preis (Stand Januar 2015)
99,- € (Download)
Hersteller
System
- Kontakt 5.1 Player oder Vollversion
- Mac ab OSX 10.7 und PC ab Windows 7
- Formate: Standalone, AU, VST, AAX in 32 und 64 Bit, RTAS
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