Test: Native Instruments Scarbee Vintage Keys
|
Seit ihrem Revival gegen Ende des letzten Jahrhunderts sind die klassischen E-Pianos der 60er und 70er – Fender Rhodes, Wurlitzer, Clavinet und Pianet – nicht mehr aus dem Studio wegzudenken und tauchen immer wieder mal in aktuellen Produktionen auf. In diesem Testbericht schauen wir uns einen echten Klassiker unter den Sample-Libraries an, die von Scarbee gesampelten ‚Vintage Keys‘ von Native Instruments. Diese Library zeigt, das es auch im schnelllebigen Softwaremarkt Produkte gibt, die auch nach etlichen Jahren nichts von ihrem Flair verloren haben.
Download, Installation & Autorisierung
Nach dem Kauf erhält man einen Download-Link und die Seriennummer.
Die Dateien sind in einem zip- bzw. exe-File verpackt und der Download (knapp 6 GB) funktioniert völlig problemlos. Der Speicherort für die Library kann frei gewählt werden.
Die Autorisierung / Aktivierung erfolgt über das Service Center von Native Instruments. Einfach die Seriennummer aus dem eigenen NI-Account kopieren, einfügen, fertig. Ist der Musik-Computer nicht mit dem Internet verbunden, kann man die Offline-Autorisierung nutzen, die ein paar Schritte mehr benötigt, aber auch problemlos ist.
Geschichte & Hörbeispiele
Zur Geschichte, Entwicklung und den verschiedenen Modell-Reihen von Fender Rhodes, Wurlitzer 200A und Hohner Clavinet gibt es zahlreiche interessante Websites und Online-Artikel, zum Beispiel bei Wikipedia.
Bekannte und markante Hörbeispiele für den Fender-Rhodes-Sound finden sich zum Beispiel auf
‚Der Weg‘ (Herbert Grönemeyer)
‚You Are The Sunshine Of My Life‘ (Stevie Wonder)
‚Riders On The Storm‘ (The Doors).
Zur Einstimmung auf den typischen Wurli-Sound und zur Inspiration empfehle ich
‚What’d I Say‘ (Ray Charles)
‚The Logical Song‘ (Roger Hodgson / Supertramp)
‚See The Sky About To Rain‘ (Neil Young)
‚You’re My Best Friend‘ (Queen).
Die Tonerzeugung des Clavinet basiert auf Saiten und klingt ziemlich funky. Es wurde und wird vor allem in Funk und Disco eingesetzt, aber auch im Rock und Reggae. Hier ein paar Klassiker mit Clavinet-Sounds:
‚Superstition‘ (Stevie Wonder)
‚Outa Space‘ (Billy Preston)
‚Chameleon‘ (Herbie Hancock)
Die Tonerzeugung des Pianet basiert auf Metallzungen. Es gab im Laufe der Jahre insgesamt 8 verschiedene Modellreihen des Pianets. Hier wieder ein paar Klassiker, die das Pianet in der Praxis zeigen:
Louie, Louie (The Kingsmen)
‚Getting Better‘ (The Beatles)
‚She’s Not There‘ (The Zombies)
Übersicht
Die Vintage Keys bestehen aus folgenden vier Instrumenten, wobei man diese auch einzeln kaufen kann (Clavinet und Pianet sind dabei ein Paket/Instrument).
- Fender Rhodes Mark I
- Wurlitzer 200
- Clavinet
- Pianet
Bevor Native Instruments den Vertrieb von Scarbee übernommen hat, konnte man optional eine speziell auf die Instrumente abgestimmte Effekt-Sammlung erhalten. Diese Effekte sind immer noch erhältlich, allerdings werden sie separat von Overloud unter dem Namen VKFX vertrieben.
Native Instruments hat den Vintage Keys Effekte aus dem reichhaltigen eigenen Arsenal spendiert. Interessanterweise ist in beiden Effektsammlungen kein Tremolo enthalten (beim A-200 und beim Pianet ist im Instrument jeweils ein Tremolo integriert, beim Clavinet und beim Mark I nicht).
Allen vier Instrumenten gemeinsam ist das übersichtliche GUI, das jeweils schlicht aber hübsch gestaltet ist. Durch den ähnlichen Aufbau des GUI bei allen 4 Instrumenten ist der Einstieg sehr leicht.
Nach der Instrumentenwahl und dem Laden der Samples gibt es bei allen Instrumenten ein Dropdown-Menü mit einer Auswahl an Effekt-Presets (also ohne Nachladen weiterer Samples).
Im oberen Bereich der Instrumente befinden sich für das jeweile Instrument typische Einstellmöglichkeiten, im unteren Bereich kann man zwischen Send- und Insert-Effekten wählen.
Folgende Effekte sind im Angebot:
- Reverb
- Delay
- Pan
- Autowah
- Compressor
- Chorus
- Distortion
- Phaser
- Amp
Einzige Ausnahme ist das Clavinet, das so viele Einstellmöglichkeiten in der Main-Ansicht hat, das hier alle Effekte auf das zweite Tab (FX) verbannt wurden.
Delay, Pan und AutoWah können mit dem TempoSync-Regler an das Song-Tempo angepasst werden (unterschiedliche Notenwerte wie Achtel, Viertel etc.)
Praxis & Soundbeispiele
Wie bereits erwähnt sind die Instrumente sehr übersichtlich und sehr ähnlich gestaltet, so dass man sich gleich zurecht findet. Es gibt jeweils zwei Hauptansichten:
- Send-Effekte (Reverb & Delay)
- Insert-Effekte (Pan, Autowah, Compressor, Chorus, Distortion, Phaser & Amp).
Einzig beim Clavinet sind alle Effekte auf der FX-Seite, da hier auf der Main-Seite einige weitere Einstellmöglichkeiten untergebracht sind (PickUp, Mute, Filter etc.). Jeder der Send- und Insert-Effekte bietet mit zwei Reglern Zugriff auf die jeweils wichtigsten Parameter.
Bei allen 4 Instrumenten können die Original-Nebengeräusche mit einem Drehregler beliebig hinzugefügt oder entfernt werden.
Alle vier Instrumente bieten jeweils 10 Presets, die direkt im GUI wählbar sind. Außerdem können jeweils 5 User-Presets gespeichert werden.
Auf der Website von Native Instruments gibt es übrigens zahlreiche komplett produzierte Tracks, auf denen man die Vintage Keys im Band-Kontext in verschiedenen Stilistiken hören kann. Deshalb demonstriere ich hier eher die verschiedenen Optionen, Effekte und Einstellmöglichkeiten.
Mark I (Fender Rhodes)
Das Fender Rhodes Mark I biete 12 Velocity-Level mit Full-Length-Samples ohne Loops. Zusätzlich wurden Release-Samples für alle Velocity-Level und verschiedene Release-Samples für unterschiedliche Ton-Längen aufgenommen. Bekanntermaßen ist Scarbee äußerst detailversessen, deshalb klingen seine Libraries ja immer so gut. :-)
Übrigens gibt es beim Mark I zwei .nki mit etwas unterschiedlichen Stimmungen:
- Standard
- Stretched Tuning
Hören wir uns zunächst einmal die verschiedenen Velocity-Layer des Mark I an:
Um den klassischen Sound (aus dem Klinkenausgang auf der Vordeseite) zu erhalten, lässt man den Bass-Regler in der Mittel-Position.
Hören wir uns zunächst den ‚D.I.‘-Klang ohne Effekte an:
Mit etwas Phaser und Amp klingt man dieser flächige Groove mit Bass-Akzenten gleich sehr lebendig:
Mit einem ganz ähnlichen Klang kann man auch sehr schön noch etwas ‚perliger‘ spielen:
Ich weiss nicht ob dieser Mark I auch den Lambada kann, aber mit etwas Pan, Chorus und Amp kann er auf jeden Fall funky:
Ich muss gestehen: Bei all meiner Begeisterung für den Klang des von Scarbee gesampelten Rhodes selbst und auch einiger Effekte – die Distortion ist so gar nicht mein Fall.
Zum Abschluss noch ein schöner Balladen-Sound mit Pan, Chorus und ordentlich Delay:
A-200 (Wurlitzer)
Scarbees virtueller Wurlitzer 200A bietet 16 Velocity-Level und Full-Length-Samples ohne Loops, dazu wieder Release-Samples für alle Velocity-Level.
Zuerst wieder der Velocity-Layer-Check:
Insbesondere bei den beliebten höheren Velocity-Werten hört man hier sehr schön, wie lebendig und vielschichtig der A200 durch seine zahlreichen Velocity-Layer klingt.
Als nächstes hören wir uns das Preset ‚D.I.‘ mit einem typischen Groove an.
Bei diesem Sound geht mir das Herz auf, ich liebe einfach den den typischen Wurlitzer-Klang. Und wir haben noch keinen Effekt hinzugefügt. Das probieren wir als Nächstes…
Phaser und Amp stehen dem A200 sehr gut, dazu noch eine Prise Reverb, und fertig ist ein ziemlich leckerer Mix:
Wie schon gesagt: Die kratzige Distortion gefällt mir nicht, für ein so großartig klingendes Instrument hätte ich mir eher einen harmonischen Overdrive gewünscht.
Da ich die (teilweise ziemlich guten) Effekte aber nur als nette Dreingabe sehe, gibt es getreu dem Motto ‚Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul‘ trotz der Distortion von mir keinen Punktabzug.
Als letztes Klang-Beispiel des A200 noch etwas Balladiges mit wenig Tönen, so dass die Effekte richtig wirken können:
Clavinet (Hohner)
Das Clavinet hat Scarbee mit bis zu 20 Velocity-Level gesampelt, natürlich wieder mit Full-Length-Samples ohne Loops, Release-Samples für alle Velocity-Level und verschiedenen Release-Samples für unterschiedliche Ton-Längen (24 Release-Samples pro Taste).
Das Clavinet hat vier Pickups-Klänge zur Auswahl, die sich teilweise deutlich im Klang unterscheiden:
- Single Lower
- Single Upper
- Both Out Of Phase
- Both In Phase.
Jedem dieser Klänge kann kann man den Mute-Schalter hinzufügen, so dass es 8 Grundsounds gibt.
Jeder dieser 8 Grundsounds kann weiter verändert werden, indem man die folgenden 4 Filter-Schalter betätigt:
- Brilliance
- Treble
- Medium
- Soft
Das Clavinet wird normalerweise im oberen Velocity-Bereich gespielt, daher hört man ganz deutlich, dass hier besonders viele Velocity-Layer gesampelt wurden:
Hören wir uns zuerst das Preset ‚D.I.‘ ohne irgendwelche Effekte mit einem richtigen Groove an (PickUp ‚Lower‘):
Mit demselben Groove vergleiche ich jetzt die weiteren PickUp-Möglichkeiten.
Zuerst ‚Upper‘ …
… dann ‚Both Out Of Phase‘ …
… und schließlich ‚Both In Phase‘.
Und bisher haben wir den Mute-Schalter noch gar nicht ins Spiel gebracht. Das machen wir jetzt. Selbstverständlich wurden alle vier PickUp-Möglichkeiten sowohl mit als auch ohne Mute gesampelt, das NI Scarbee Clavinet hat also 8 Grundsound (bisher noch komplett ohne einen der internen Effekte).
‚Lower‘ mit Mute:
‚Upper‘ mit Mute:
‚Both Out Of Phase‘ mit Mute:
‚Both In Phase‘ mit Mute:
Mit dem Mod-Wheel kann der Mute-Schalter an- und ausgeschaltet werden, so dass man sehr schön mit der Dynamik spielen kann (haupsächlich muted, einzelne Töne akzentuieren durch abschalten des Mute-Reglers).
Wie schon erwähnt ergeben sich weitere Klangmöglichkeiten ergeben sich mit den 4 Filter-Schaltern.
Fügen wir nun nach und nach ein paar der internen Effekte hinzu. Als erstes hören wir uns ein Klangbeispiel mit dem Preset PingPong an, das nur den Pan-Effekt nutzt:
Das folgende Beispiel featured das Clavinet-Preset ‚Wahming Up‘ mit Pan, Autowah und Phaser:
Das Preset ‚Car Wash‘ nutzt neben Pan und Phaser auch die interne Amp-Simulation:
Das Preset ‚InDaPhaze‘ demonstriert neben dem Phaser auch den Einsatz des Compressors:
Pianet (Hohner)
Das Pianet hat von Natur aus einen ziemlich eingeschränkten Dynamik-Rahmen und dementsprechend wenige Velocity-Layer:
Nichtsdestotrotz hat es einen sehr interessanten Klangcharakter. Das ist sicher kein Alltags-Klang, der bei jeder Produktion passt, sondern ein besonderer Klang für spezielle Momente.
Mit dem Preset ‚Pure & Natural‘ (nur etwas Reverb und Tremolo) hören wir uns mal den ganzen Tonumfang an:
Außer Reverb wird hier nur etwas Pan und Amp hinzugefügt, und schon wird die Sache richtig interessant:
Ein funky E-Piano mit Phaser – ich liebe diese Kombination!
Das Preset ‚Black Leather‘ fügt neben Pan und Amp auch etwas Distortion hinzu. Obwohl der Distortion Effekt mir viel zu kratzig und rau ist, hört man hier, dass er vorsichtig eingesetztdurchaus brauchbar sein kann:
Das Preset ‚ScubaDive‘ ist mit Tremolo, Compressor, Phaser und Amp schon ziemlich abgefahren:
Sonstiges
So ziemlich alle Regler der Vintage Keys verfügen über MIDI-Learn und Host-Automation.
Die Bedienungsanleitung gibt es – wie von Native Instruments gewohnt – nur in englischer Sprache.
Wie immer hat NI einige gut klingende komplett produzierte Demo-Tracks in verschiedenen Musikstilen im Angebot.
A200 verbraucht 110 MB RAM, MK I 87 MB RAM, das Pianet 17 MB RAM und das Clavinet in den Einzel-PickUp-Version 92 bis 127 MB RAM (das Umschalten auf die anderen PickUps ist dann logischerweise nicht möglich) und in der Full-Version mit allen Pick-Up-Versionen 450 MB RAM.
Für Home-Recordler, die nicht über nennenswerte Keyboard-Kenntnisse verfügen, wäre ein integrierter MIDI-File-Player mit einer Sammlung toller MIDI-Grooves wünschenswert (ähnlich wie bei Toontrack EZkeys, so wie es bei den Drum-Sampler sämtlicher Hersteller mittlerweile Standard ist). Das würde die Zielgruppe dieser tollen Library noch um die große Gruppe der Nicht-Keyboarder erweitern. Man kann die meisten DAWs aber so einrichten kann, dass die Sounds eines VST-Instrumentes mit dem MIDI-Out eines anderen abgespielt werden können. Bei entsprechendem Bedarf nach einer MIDI-File-Sammlung & -Player muss man sich eine solche Software eben noch hinzukaufen.
Fazit
Es gibt nicht den einen ‚amtlichen‘ Rhodes-, Wurlitzer- oder Clavinet-Klang. Selbst wenn man die zahlreichen unterschiedlichen Modell- und Baureihen außer Acht lässt, klingen verschiedene Instrumente desselben Modells unterschiedlich. Scarbee hat ein paar sehr schöne Exemplare dieser Instrumente gefunden und sie perfekt restauriert. Original-Nebengeräusche wie das Brummen und Klicks kann man mit den entsprechenden Reglern in beliebiger Dosis hinzufügen.
Die Scarbee Vintage Keys sind zu Recht ein Klassiker und machen auch heute noch richtig Spaß. Wer meint, dass abgenutzte Dämpfer und kaputte Tasten zum Mojo eines Vintage-Instrumentes gehören, liegt mit den Vintage Keys falsch. Allen anderen kann ich diese Library wärmstens empfehlen.
Die Instrumente der Vintage Keys sind einzeln zu je 69,- Euro erhältlich (Clavinet & Pianet zählen dabei als ein Instrument), das vergünstigte Komplettpaket kostet 149,- Euro. In Anbetracht der gebotenen Qualität ist dies ein sehr fairer Preis.
Plus
- Qualität der Samples
- einfachste Bedienung
- Spielgefühl
- Clavinet RAM – verschiedene Version
- zahlreiche Effekte integriert, viele davon in guter Qualität
- TempoSync bei Delay, Pan & AutoWah
Minus
- (Qualität des Distortion-Effekt)
- (kein Tremolo-Effekt beim Mark I und beim Clavinet)
Anmerkung: Da die Effekte ursprünglich nicht in der Library enthalten waren und als nette Dreingabe hinzugefügt wurden, als Native Instruments den Vertrieb für Scarbee übernommen hat, gehen sie nicht in meine Wertung ein und die Scarbee Vintage Keys bekommen von mir trotzdem die volle Punktzahl.
Preise (Stand Januar 2016)
Je Instrument 69,- Euro (Clavinet und Pianet zählen als ein Instrument)
Als Bundle 149,- Euro
System-Voraussetzungen
NI KONTAKT oder kostenloser KONTAKT-Player
Windows: Benötigt SSE2 (CPU-Befehlssatzerweiterung)
Mac: Nur Intelmacs, PPC nicht unterstützt
Hersteller: Native Instruments