Wie man mit der eigenen Musik reich und berühmt wird
|Ein keiner Diskurs zum Umgang mit der Musik …
… und mit sich selbst, speziell für all jene, die den großen Hit noch vor sich haben.
Auch auf die Gefahr hin, dass damit gleich zu Beginn die Spannung verpufft: Die Antwort auf die Frage „Wie werde ich reich und berühmt?“ lautet schlicht: Gar nicht. Weder reich noch berühmt. Zum Trost (für die Jungs unter uns) ein schönes Bild mit einer nackten Frau:
Also bitte nicht ärgern oder gar frustriert sein – freuen Sie sich lieber, denn wenn Sie sich erst einmal davon befreit haben, reich und berühmt werden zu wollen, macht die Musik richtig Spaß: Sie dürfen jetzt spielen und komponieren wie es Ihnen gefällt und müssen keine Rücksicht mehr nehmen auf imaginäre Hit-Rezepturen oder schlaue Ideen von Leuten, die es auch nicht geschafft haben. Ist das nicht schön?
Es kommt noch besser: Sie müssen sich keine abgedrehten Klamotten kaufen, brachen keine Ganzkörpertatoos, kein Zungen- und Genitalpiercing, um bei den Groupies bleibende Eindrücke zu hinterlassen. Sie müssen sich nicht so wüst herrichten, dass Sie Angst haben müssen, beim Einkaufen im Supermarkt geschnappt und gefesselt zu werden. Sie brauchen keine penetrante Imageberatung über sich ergehen lassen, keinen durchgeknallten Pop/Rock-Fotografen besuchen (der Sie, wenn sie weiblich sind, am liebsten sofort bumsen möchte), und auch keiner Plattenfirma einen Vorschuss für die Promotion zahlen. Sie müssen nicht koksen und nicht die einschlägigen Partys besuchen, in der Hoffnung, dort einen der großen Macher zu treffen und von sich zu überzeugen. Sie sparen sich eine Menge Ärger, Geld und werden nicht drogenabhängig.
Wenn Sie Szeneerfahrung brauchen, gönnen Sie sich einen Ausflug in ein angesagtes Studio. Andere machen Urlaub am Meer oder geben viel Geld für dicke Autos aus. Warum solch eine Investition nicht eintauschen gegen einen Tonstudiotrip oder einen gediegenen Audio-Workshop. Da lernt man was und trifft auf Gleichgesinnte.
ABER ICH KANN EINEN HIT SCHREIBEN UND ICH WILL DAS TUN!
Wir vollziehen einen Schlenker zurück und beleuchten eine andere Begleiterscheinung der Berühmtheit: Sicher, es ist völlig klar, dass Sie das Zeug dazu haben, einen Hit zu komponieren – aber wäre Ihre Psyche dem Hype, der ihnen dann entgegenschlagen würde, auch wirklich gewachsen?
Die Chronologie der Musiker, die an Ihrer Berühmtheit zugrunde gegangen sind, ist lang. Sie hat nicht erst mit Mozart angefangen und, wie wir wissen, nicht mit Jim Morrison und auch nicht mit der schönheitschirurgisch transformierten Restperson des Herrn Jackson aufgehört. Nicht nur, dass diese Menschen sich unter dem enormen Druck ihrer Berühmtheit selbst zerstörten, sie haben sich auch oft reichlich übel gegenüber ihren engsten Vertrauten, Freunden, Lebenspartner(inne)n verhalten. Damit stehen gefeierte Musiker übrigens nicht alleine da: Van Gogh hat sich ein Ohr abgeschnitten. Picasso und Dali waren nicht gerade für einen freundlichen Umgang mit ihren Mitmenschen berühmt. Sie nutzen ihre Ausstrahlung und Macht als Ausnahmekünstler, um andere zu diskreditieren, zu erniedrigen und zu tyrannisieren. Genies können ihr Genie oft nur unter erheblichen Opfern pflegen und gedeihen lassen, und diese Opfer bringen sie nicht allein. Da ist es vielleicht besser, nur ein bisschen genial zu sein.
Es reicht schon, die Atmosphäre in einem Club in Schwung zu bringen und von 100 Zuhörern begeistert gefeiert zu werden. Es ist eine enorm bereichernde Erfahrung, die man zumindest einmal gemacht haben sollte – anderen Menschen etwas mitzugeben mit der eigenen Musik oder auch als Cover-Band, die sich in die Songs anderer hineinfinden kann und sich damit identifiziert.
Auch Feedback zu einer Internetpräsentation kann erstaunlich belebend wirken. Das ist alles erreichbar und klappt besonders gut, wenn man man selbst ist, mitten drin in dem was sich da tut. Und nicht im Hinterkopf auf dem Weg zur ganz großen Bühne. Auch die kleinen Erfolgserlebnisse brauchen ihre Zeit und kommen nicht von selbst. Aber der Weg dahin macht zwischendurch immer wieder Freude.
KÜNSTLER HATTEN ES SCHON IMMER SCHWER ABER HEUTE IST DAS GANZ BESONDERS SO. WAS MUSS ICH NUN TUN, UM VIELLEICHT DOCH NOCH REICH UND BERÜHMT ZU WERDEN?
So ist es! Musiker und Künstler im allgemeinen hatten es schon immer schwer, die nötige Aufmerksamkeit für ihr Schaffen zu erlangen und sich anständig zu ernähren. Früher konnte es schonmal klappen, nackt durch die Stadt zu laufen und ans Stadttor zu pinkeln. Eine Anekdote besagt, dass Hundertwasser das getan hat, und er ist nicht nur in einer Zelle, sondern prompt auch in der Presse gelandet. Sein öffentliches Pipi war der Katalysator zum Durchbruch. Und niemand wird bezweifeln, dass hier ein ganz Großer unter den zeitgenössischen Malern entdeckt worden ist. Da stellt sich die Frage, wie viele unentdeckt geblieben sind, weil sie ihr Pipi immer zuhause ins Klo gemacht haben.
In der Aufbruchstimmung der Pop/Rock-Ära taten sich einige Bands damit hervor, ihre Instrumente nach dem Konzert zu demolieren und sind damit ganz gut gefahren. The Who haben das in der frühen Zeit in den Londoner Clubs regelmäßig getan und sind durch diesen barbarischen Akt erst richtig aufgefallen. Wenn Sie das heute machen, kommen Sie allenfalls in die Lokalpresse, vorausgesetzt, die haben überhaupt einen Fotografen geschickt. Sie werden als dümmlicher Nachahmer nur müde belächelt.
Keith Emerson ging mit dem Dolch auf seine Orgel los. Kann schon sein, dass er über den damaligen Stand der Technik verzweifelt war, aber es gab garantiert ein Extra-Photo in der Presse. Und wer weiß, warum Jimi Hendrix seine Gitarre wirklich angezündet hat? Diese Show war jedenfalls einzigartig.
Die Hardrocker und Punks haben ins Publikum gekotzt, was ebenfalls die Runde machte und Emotionen bei Leuten auslöste, die vorher von AC/DC noch nie etwas gehört hatten. Danach trugen sie fortwährend ein Bild der Band im Kopf, wenn auch kein anheimelndes. Andere haben mit Extremlautstärken nachdrücklich auf sich aufmerksam gemacht. Was wäre aus Motörhead geworden, hätten sie mit normaler Club-Amplitude gespielt?
Alle diese Mittel sind nun verbraucht und nicht mehr originell. Was auch sein Gutes hat: Wenn Sie auf der Bühne stehen, müssen Sie sich weder zwanghaft übergeben noch Ihr Trommelfell ruinieren.
Die Red Hot Chili Peppers traten gegen Ende ihrer Glanzzeit nur mit einem Socken über dem Schniedel bekleidet auf. Heutzutage halten untergehende Sternchen bisweilen ihre Geschlechtsteile in die Kamera, wenn sie die abgewirtschaftete Karriere wiederbeleben wollen. Derweil hüpfen Newcomer von vorneherein fast nackt auf die Bühne. Wann werden die ersten Musiker öffentlich kopulieren, um ganz sicher Aufmerksamkeit zu erwecken? Der Trend geht eindeutig in diese Richtung. Googelt man nach „Musiker nackt auf der Bühne“ findet man eine Meldung von Pro 7 vom 14. 10. 2015: „Miley Cyrus plant Konzert komplett nackt auf der Bühne.“ War bestimmt ausverkauft. Beim übernächsten Mal vielleicht schon nicht mehr. Lady Gaga hat es auch getan, na ja, nicht wirklich ganz: „Ihre Nippel waren mit grünem Klebeband verdeckt, als wenn sie es geplant gehabt hätte“. Ach was.
Also: Man muss sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, um auf sich aufmerksam zu machen. Ein Freund hatte vor etwa 10 Jahren die Idee, auf dem Dach eines halb zerfallenen Hochhauses in der Sperrzone um Tschernobyl aufzutreten. Er wollte einen Hubschrauber chartern und zusammen mit einem Filmteam direkt dort landen. Damit hätten wir es wahrscheinlich in die Tagesschau geschafft. Aus irgendeinem Grund nahmen wir von dem Projekt dann doch Abstand.
Wenn Sie im Grunde nur mit Ihrer Musik glücklich werden wollen, nicht über eine ausgeprägte exhibitionistische Veranlagung verfügen, ihre Orgel nicht öffentlich sprengen (Dolch oder Anzünden reicht nicht mehr) und auch nicht verstrahlt werden wollen, dann sieht es düster aus mit der Präsenz in den großen Medien.
Kommen wir zum zweiten Punkt: Reichtum. Das zu Erreichen ist noch schwieriger als die Berühmtheit. Die Fälle von arm gebliebenen Berühmtheiten der Rock-Pop-Geschickte sind deutlich zahlreicher als die der nachhaltig reichen. Das liegt an den Verträgen, die man unterschreiben muss, damit ein zahlungskräftiges Unternehmen die Promotion übernimmt. Nicht selten werden sämtliche Kosten von der Sekretärin bis zum Tourbus von den kümmerlichen Prozenten abgezogen, die man Ihnen zugesteht.
Die meisten kommen aber gar nicht mehr so weit. Ein üppig wuchernder Freundeskreis auf Facebook und Engagement in einschlägigen Foren bindet an den heimischen Schreibtisch und die Maus. Diese bewegungsarme Werbetätigkeit kostet nicht nur eine Unmenge Zeit (und Nerven), die man besser ins Musikmachen investiert hätte, die in die Höhe schnellenden Klicks und Streamings bringen auch fast nichts ein. Millionenfache Streamings können in recht überschaubare Einnahmen im niedrigen dreistelligen Bereich münden. Früher wurde Ihre Musik geklaut und in Form von Klingeltönen auf russischen Servern angeboten, heute wird gestreamt, was das Zeug hält. Beim Künstler kommt davon praktisch nichts an.
Manfred Man meinte vor ein paar Jahren und angesichts des Misserfolgs seiner letzten CD auf die Frage, was er denn jungen Musikern raten würde: Erstmal für eine solide Einnahme zwecks Lebensunterhalt sorgen – und zwar außerhalb des Musikbusiness. Es sei denn, man findet ein Plätzchen unter der Brücke idyllisch und inspirierend. Mit dem Rest der Zeit (und dem Geld, dass nach Essen, Trinken, Auto und Miete übrig bleibt) dann Musikmachen und sich ein hübsches Instrument – oder was man sonst als notwendig erachtet – kaufen. Wer zusätzliches Geld braucht, probiert die Finanzierung eines Projektes vielleicht mal über Crowdfunding.
Um Missverständnissen vorzubeugen sei hinzugefügt: Dieser Artikel soll nicht dazu aufrufen, sich zurückzuziehen, verloren und desillusioniert in einer Ecke zu hocken und müde und versunken vor sich hin zu klampfen oder zu trommeln. Musik ist ein Paralleluniversum, das ständig neue Entdeckungen bereithält. Musik macht besonders viel Spaß, wenn man mit den richtigen Menschen zusammen musiziert. Live- und (in Maßen gepflegte) Internetauftritte bringen Feedback, und das macht Freude. Man braucht das von Zeit zu Zeit. Nur eben nicht falschen und faktisch unerreichbaren Zielen nachjagen. Das führt vom Wesentlichen weg und bringt nichts aber auch gar nichts ein, nur Frust.
Der letzte, von dem ich die Ansage gehört habe, er wolle einen Mega-Hit komponieren, hat eigentlich ganz gute Musik gemacht. Jetzt ist er Computerhändler und hat die Musik völlig aufgegeben.
Holger Obst