Test: iZotope Neutron
|Neutron ist ein intelligentes, kanalübergreifendes System von Mixing-Tools in Plug-in-Form, welches mit allen gängigen Sequencern betrieben werden kann. Neutrino, der kleine Ableger ist sogar Freeware. Werden Tontechniker nun bald arbeitslos?
Neutron verfügt mittels Lern-Modus über intelligente und innovative Funktionen, die es auch dem Laien möglich machen sollen, brauchbare Abmischungen zu erstellen.
Hinweise: Die Screenshots sind aufgrund unseres Seitenformats teilweise verkleinert.Die Beschriftungen und alle grafischen Elemente sind beim Original klar abgebildet und gut erkennbar.
Zusammenfassung
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Auf den Punkt gebracht
Neutron leistet als intelligenter, kanalübergreifender Assistent beim Abmischen ganze Arbeit. Im Fokus steht dabei nicht das Mastering, sondern die Bearbeitung von Instrumenten und Gruppen.
Benutzer-Bewertung
( Stimmen)
Überblick
Die Neutron-Technologie bietet iZotope in drei Varianten an: Neutrino, Neutron und Neutron Advanced.
Alle Plug-ins dienen der spektralen, dynamischen Formung von Audiosignalen, wobei weniger das Mastering (dafür ist bei iZotope Ozone 7 zuständig), als vielmehr Instrumente und Gruppen im Visier sind. Hier gibt es allerdings keine Einschränkungen, auch keine Fokussierung auf irgendein Genre.
Neutrino
Das kleinste Plug-in im Trio ist Neutrino, wie erwähnt ist es derzeit kostenfrei erhältlich …
… und damit der ideale Einstieg, um auf den Geschmack zu kommen – alternativ zu den Demo-Versionen der beiden großen Brüder. Neutrino ist eine Auskopplung von Algorithmen aus dem Arsenal der großen Versionen, beinhaltet also bei weitem nicht alle Werkzeuge von Neutron und Neutron Advanced, auch nicht hinter den Kulissen.
Dort, nämlich hinter der sehr aufgeräumten Oberfläche, findet das Spectral Shaping statt, laut Hersteller eine Kombination aus transientenbetonter Multiband-Kompression und Dutzenden von dynamischen Filtern mit niedriger Kompressions-Ratio. Die Filterbänder arbeiten dabei simultan und parallel. Sie werden separat ohne Crossover-Frequenzen berechnet. Die Thresholds werden automatisch an das eingehende Signal angepasst.
Neutrino macht es dem User leicht: Vier Instrumententypen stehen zur Wahl: Gesang, Bass, ein Universalinstrument und Drums. Zwei Regler, Amount und Detail legen fest, wie stark und wie fein, also wie hoch aufgelöst (Anzahl der internen Bänder) Neutrino in den Klang eingreifen soll.
Im Gesangs-Modus soll Neutrino für Klarheit und Detailreichtum sorgen. Die Stimme soll im Vordergrund stehen, ohne dabei harsch oder penetrant zu klingen.
Die folgenden Loops stammen aus Ueberschall Vocal Dance Hits 2. Hier habe ich Neutrino für den Gesang ab Takt 5 eingesetzt und den Amount- und Detail-Regler weit aufgedreht, fast bis zum Rechtsanschlag:
Der Effekt ist wahrnehmbar, jedoch alles andere als aufdringlich, eher subtil. Hier habe ich auch für die Instrumente, Drums, Synth-Bass und Keys, Neutrino-Instanzen eingesetzt:
Neutrino geht auch bei vollem Einsatz sanft mit dem Material um und ist definitiv eher ein Effekt für kleine Veredelungen, weniger geeignet für drastische Eingriffe, etwa zum Aufpolieren hoffnungslos muffiger Mixe. Dafür braucht man Tools anderen Kalibers, vielleicht klappt´s ja mit Neutron?
Neutron – erste Eindrücke
Neutron hat schon rein von der Oberfläche her mit Neutrino nicht viel gemeinsam:
Auf den ersten Blick wird klar, dass man es mit fünf Modulen zu tun hat,
- einem dynamischen Equalizer, der nicht nur eine Absenkung, sondern auch eine Anhebung der einzelnen Bänder im Angebot hat (Expander-Betrieb),
- zwei Dreiband-Kompressoren mit Vintage und Digital-Mode,
- einem Dreiband-Exciter mit unterschiedlichen Sättigungscharakteristika und
- einem Dreiband-Transient Shaper mit verschiedenen Reaktionsmodi.
Bei den einzelnen Modulen bleibt es also nicht bei Standardfunktionen. Die serielle Reihenfolge lässt sich per Klicken und Ziehen verändern. Vor dem Ausgang (aber hinter dem Output-Regler) gibt es noch einen Limiter, ebenfalls mit verschiedenen Modi. In der rechten unteren Ecke ist eine vollwertige Neutrino-Abteilung angesiedelt, hier allerdings ohne die Instrumenten-Icons.
Für den Einstieg gibt es eine Reihe von Presets:
Sowohl für Gruppen als auch für Einzelinstrumente finden sich alle notwendigen Kategorien – und die Ordner sind angenehm reicht gefüllt. Auf der Suche nach dem passenden Sound zappt man also erst einmal durch diese Vorlagen und nimmt dann ausgehend von derjenigen, die am besten passt, Detaileinstellungen vor.
Wer durch das Angebot zappt, hier und da Parameter verändert und sich dann plötzlich erinnert, dass die Lösung von vor fünf Minuten eigentlich die schönste war, darf sich über eine Undo-History freuen – auch das ist ein Standard bei iZotope, zu dem sich die meisten Mitbewerber bislang nicht aufschwingen konnten.
Und wer zwischendurch Hilfe benötigt, die über die Tooltips hinausgeht, erreicht vom Plug-in aus das verständlich geschriebene Manual.
Im Setup-Menü erledigt man alles Administrative, legt etwa die Qualität (und den CPU-Hunger) der einzelnen Module fest.
Nützliche Innovationen
Kommen wir zu den Highlights:
Neutron hat ein paar besondere Features zu bieten, die das Plug-in richtig interessant machen. Die Stichworte heißen Masking und Track Assistant.
Der Track Assistant ist lernfähig: Über den Learn-Taster wird ein Analyseprozess gestartet, welcher zu einem Bearbeitungsvorschlag, also einer kompletten Konfiguration von Neutron führt – einschließlich der Auswahl der beteiligten Module, deren Eingriffsmodalitäten und -stärke sowie der Crossover-Frequenzen. Für die Crossover-Frequenzen stehen darüber hinaus noch eigene Learn-Taster in allen Modulen bereit, die dort alternativ zum Track-Assistant betätigt werden können.
Im Detail: Der Track-Assistant erkennt die Instrumentenart, die bearbeitet werden soll, fügt das Spectral-Sound-Shaping von Neutrino hinzu, setzt Ankerpunkte für die Equalizer-Bänder, entscheidet, wo in den Modulen eine Single- oder Multiband-Bearbeitung stattfinden soll, wählt das Kompressor-Modell aus (also dessen Klangcharakteristik, Digital oder Vintage), richtet die Kompressor-Parameter ein (Threshold, Attack, Release, Ratio) und wählt den Algorithmus und den Wirkungsbereich des Exciters aus. Auch der Transienten Shaper wird komplett vorkonfiguriert – wenn sein Einsatz Neutron adäquat erscheint. Analysiert man beispielsweise Streicher oder Gesang, so bleibt der Transient Shaper meist außen vor. Erkennt Neutron Drums, so wird der Exciter häufig beiseite gelassen. Der Track Assistant nimmt dem User also eine ganze Menge Arbeit ab – und braucht dafür lediglich zehn Sekunden bei laufendem Playback. Dabei kann man die Stärke des Korrekturvorschlags …
… und die Richtung, in die es gehen soll, vorab einstellen:
Neutrino ist, wie bereits erwähnt, ebenfalls an Bord und wird vom Track Assistant konfiguriert:
Die zweite tolle Sache ist das Masking-Meter: Hat man mehrere Instanzen von Neutron in unterschiedliche Kanälen geladen, so kommunizieren diese auf Wunsch miteinander. Im Kanal der Bassdrum kann man beispielsweise erkennen, in welchem Frequenzbereich der Bass agiert und ob es zu Überlagerungen kommt, die man in den Griff bekommen sollte, um eine undifferenzierte Basslastigkeit zu vermeiden. Die Frequenzkurve wird dargestellt, und ein Histogramm (Balkenansicht über der Frequenzanalyse) gibt Auskunft über die schwierigen Frequenzabschnitte. Dort setzt man nun die Ankerpunkte des Equalizers und regelt eines der beiden Instrumente herunter, schafft also Platz für einen klareren Mix. Dabei kann man komfortabler Weise von einer Instanz aus die andere bedienen.
Hier habe ich zwei Instanzen von Neutron am Start: Eine bearbeitet die Drums, die andere den Synth-Bass. In der Masking-Auswahl der Neutrino-Instanz im Synth-Bass-Kanal steht daher nur „Percussive 1“, nämlich die Drums, zur Verfügung.
Wie zu erwarten, gibt es leichte Kollisionen zwischen 80 und 100 Hertz, dort wo die tiefen Frequenzen des Basses und die der Bassdrum aufeinandertreffen. Diese Überlagerungen erkennt man (neben der Balkenansicht oberhalb des Spektrogramms) an den hellen Linien:
Während Neutron im Masking-Modus ist, sieht man nun in der Instanz des Basskanals auch den Frequenzgang der Neutron-Instanz im Drum-Kanal und kann beide mittels Equalizer bearbeiten. Neben der klanglichen Rückmeldung bei laufendem Playback kann man auch beobachten, ob die hellen Linien im Frequenzgang blasser werden oder ganz verschwinden, wenn man die Filter einsetzt.
Über den Sensitivity-Slider regelt man die Darstellung im Histogramm.
Eine Arbeitserleichterung bietet auch der Taster „Inverse Link“. Ist diese Funktion aktiviert, so führt eine Pegelerhöhung eines Filters gleichzeitig zu einer Pegelreduzierung des korrespondierenden Filters im andern Kanal.
Soweit im zweiten Kanal noch kein Filter gesetzt ist, wird dieses bei Inbetriebnahme von Inverse Link automatisch dort aktiviert. Hier habe ich mit Filter 2 eine Absenkung durchgeführt (orange). Im korrespondierenden Kanal hat Neutron ein entgegengesetzt arbeitendes Filter aktiviert:
Gain und Frequenz werden übertragen. Was bei Inverse Link nicht übertragen wird, ist die Flankensteilheit. Auch der Filtertyp, dynamisches oder statisches Verhalten, wird nicht über Invese Link synchronisiert. Soweit erforderlich muss man diese zusätzlichen Eigenschaften also manuell anpassen.
Die Filter sind vollparametrisch und können bequem per Anfasser verschoben, im Grad der Absenkung/Anhebung und der Flankensteilheit eingestellt werden.
Und so hören sich die beiden Neutron-Instanzen nach einer automatischen Einstellung mittels Track Assistant und einer anschließenden Anpassung der tiefen Frequenzen per Masking an:
Der Bassdrum (PunchBox) verleigt Neutron einen ordentlichen Sättigungseffekt.
Das Original ohne die beiden Neutrons:
Das ist schon eine ganz andere Sache als Neutrino. Neutron ist deutlich leistungsfähiger. Das zeigt sich auch, nachdem ich eine weitere Instanz für den Gesang eingesetzt und dort das Preset „Female Vocals Pop“ verwendet habe.
Bei den Drums habe ich zwei schmalbandige Filter des Equalizers zwischen 1000 und 2000 Hertz automatisiert, um damit die elektronische Snare zu modulieren. Dadurch gewinnt der Beat gleich spürbar an Lebendigkeit. Hier das Ergebnis:
Zum Vergleich die selbe Passage, dieses Mal jedoch ohne Neutron im Gesangskanal:
Es wird deutlich, dass Neutron den Gesang im Obertonspektrum nicht überstrapaziert. Die Stimme klingt immer noch natürlich, so als hätte niemand etwas mit ihr angestellt, doch ohne Neutron fällt sie ein Stück weit in den Mix zurück. Neutrino sollte eigentlich den Gesang „on the top of the mix“ platzieren – Neutron löst dieses Versprechen ein.
Wir schauen uns nun die einzelnen Module genauer an – vorher aber noch die Eckdaten:
Die Eckdaten / Unterschied zwischen Neutron und Neutron Advanced
Alle Plug-ins laufen unter Windows ab 7 und auf dem Mac aktuell von OSX 10.9 bis 10.11 in 32 und 64 Bit. Es werden die Formate VST2 und VST3, AU, AAX RTAS sowie AU DPM und AAX angeboten. Getestet wurden die Plug-ins in allen aktuellen, teils auch weniger aktuellen Versionen der weit und auch weniger weit verbreiteten Sequencer, etwa Pro Tools 12.4, Cubase 8.5 und Reaper 5.11.
Der Unterschied zwischen Neutron und Neutron Advanced liegt darin, dass in der großen Version alle Module (also Kompressor, Equalizer, Exciter und Transient Shaper) auch als separate Plug-ins geladen werden können. Außerdem ist Neutron Advanced surroundfähig, und das gleich bis 7.1..
Der Equalizer
iZotope verwendet hier eine Eigenentwicklung, einen „parametric infinite impulse response (IIR) EQ“, der die Flexibilität digitaler Bearbeitung mit den Klangqualitäten anlogen Equipments kombinieren soll.
Den Masking-Modus haben wir bereits kennengelernt. Abseits dieser Betriebsart präsentiert sich zunächst ein Equalizer mit acht vollparametrischen Bändern, beidseitig flankiert von Kuhschwanz- und High/Low-Pass-Filtern:
Aktiviert man den Lear-Button, so detektiert Neutron kritische Stellen im Frequenzspektrum, die Nebengeräusche oder Resonanzen enthalten.
Im unteren Bereich des Fensters wählt man den Filtertyp (Glocken- oder Peak-Charakteristik bei den vollparametrischen Bändern 1-8, Flat Resonant bei Low- und High-Pass, Analog, Baxandall und Bass Vintage bei den Kuhschwanzfiltern). Alternativ zu den Anfassern der Kurvendarstellung kann man hier nochmals Gain und Frequenz ändern. Rechts daneben findet sich der Dynamik-Bereich. Hier kombiniert man das Filter mit einen Kompressor oder einen Expander, der ausschließlich für das eingezeichnete Filterband und dessen Charakteristik wirkt.
Die Attack- und Releasezeit ist frequenz- und programmabhängig. Hebt man etwa die Filterkurve mit dem Anfasser von Filter 2 um 5 dB an und schaltet hierfür den Expander-Modus ein, so kommt es nur dann zu einer Pegelanhebung durch Filter 2, wenn ein Lautstärke-Schwellenwert (Threshold) überschritten wird. Insgesamt kommt es dabei zu einer Vergrößerung der Dyamik (Expansion).
Umgekehrt wird eine per Filter vorgesehene Abschwächung im Kompressor-Modus nur dann aktiv, wenn ebenfalls der Threshold überschritten wird. Hierdurch verringert man die Dynamik.
Nun kann man natürlich auch den Pegel eines Frequenzbereichs anheben, etwa die tiefen Frequenzen einer Bassdrum und trotzdem den Kompressor-Modus einschalten. In diesem Fall würde beim Attack der Bassdrum eine Kompression der tiefen Frequenzen stattfinden, die im Sustain dann wieder hochgefahren würden. Kombiniert mit einer dynamischen Anhebung hoher Resonanzen der Bassdrum mit einem zweiten Filterband (im Expander-Modus) würde man einen scharfen Anschlag mit einem runden, bassbetonten Sustain erhalten.
Recht ausgefuchst ist das Sidechain-Routing: So kann jedes Filterband (Node) dynamisch auf ein anderes innerhalb der selben Neutron-Instanz reagieren. In einer Schlagzeuggruppe kann beispielsweise die Resonanzfrequenz der Snare eine simultane Absenkung der tiefen Frequenzen bewirken, wodurch man den Snare-Hit herausarbeiten kann. Neben diesem internen Sidechaining gibt es auch noch externe Optionen.
In der Praxis klingt der Neutron-Equalizer musikalisch und warm. Er lässt sich einfach bedienen. Wer auf die Millisekunde genau den Klangverlauf formen will, wird beim Dynamik-Modus ein individuelles Justieren der Attack- und Releasezeit sowie den Parameter Ratio vermissen. Solche Feinanpassungen erledigt Neutron automatisch im Hintergrund, was dazu führt, dass weniger versierte Tontechniker auch weniger Fehler machen können.
Der Kompressor
Der Neutron-Kompressor verfügt über bis zu drei Bänder, kann aber auch als Single-Kompressor eingesetzt werden. Jedes Band kann im transparenten, wenig färbenden Digital Mode oder im dezent warm zeichnenden Vintage Mode verwendet werden. Jedes Band bietet die Parameter Threshold, Ratio, Knee, Makeup-Gain sowie einen Bypass- und Solo-Betrieb (zwecks Kontrolle der Wirkung des betreffenden Bandes). Die Ratio reicht mit bis zu 30:1 in das Limiting hinein. Negative Ratios bis zu 1:10 ermöglichen auch eine De-Kompression.
Ein Low- und ein High-Cut Filter im Detektionsweg begrenzen das Frequenzspektrum und ermöglichen es, impulsreiche oder hochenergetische Frequenzen (Bassdrum, scharfe Klicks einer elektronische Hi-Hat), die sonst zu einer übermäßigen Kompression führen würden, außen vor zu lassen: Sie wirken sich dann nicht auf das Regelverhalten des Kompressors aus, bleiben aber im Frequenzspektrum erhalten.
Jedes Band verfügt über Parallel-Processing: Per Mix-Regler kann das unbearbeitete Original beigemischt werden.
Mittels Auto Gain wird eine automatische Pegelanpassung des Ausgangs bewirkt: Die Pegelreduktion durch die Kompression führt dann nicht mehr zu einem Lautstärkeverlust.
Im Oberen Bereich wird die Kompression in Echtzeit über den Pegelverlauf des anliegenden Audiosignal gezeichnet. Ein Lernmodus setzt die Crossover-Frequenzen.
Wie bei den Dynamik-Abteilungen des Equalizers ist es auch beim Kompressor möglich, das Regelverhalten aller Bänder mittels Sidechain über interne und externe Signale zu steuern.
Hier hören Sie einen unbearbeiteten Beat:
Hier reagiert der Kompressor des mittleren Bandes auf den Pegel des tiefen Bandes. Die Attacks der Bassdrum heben damit die Attacks im mittleren Frequenzbereich (subjektiv) an, da der Kompressor die ersten 20 ms durchlässt und mit 0,93 ms Release auch sehr schnell wieder in den Ursprungszustand zurückschwingt, nachdem der Threshold unterschritten wird.
Die Bassdrum erhält dadurch einen knochentrockenen, sehr prägnanten Anschlag.
Den Kompressor gibt es in Neutron gleich zweimal. So kann man beispielsweise ein Modell für exakte, chirurgische Eingriffe benutzen, das zweite simultan im Vintage-Modus für eine klangfärbende Kompression.
Hier habe ich den zweiten Kompressor hinzugenommen und im hohen Frequenzband per De-Kompression eine Schärfung der Hi-Hat vorgenommen:
Der Transient Shaper …
… arbeitet ebenfalls mit drei Frequenzbändern (mit On/Off, Solo und Bypass) und erlernbaren bzw. justierbaren Crossover-Frequenzen. Attack und Release können pro Band getrennt angehoben oder abgesenkt werden. Die Wirkungskurve wird in der durchlaufenden Echtzeit-Darstellung des Lautstärkeverlaufs visualisiert.
Der Transient Shaper verfügt über drei Basis-Modi:
- Precise (schnelles zurückschwingen in den neutralen Ursprungsbetrieb, geeignet für rasch aufeinanderfolgende Attacks),
- Balanced (schnelle Attacks, mittelschnelles Release) und
- Loose (vergleichsweise langsames Attack; eignet sich für Anhebungen des Sustains).
Zudem kann die Attackkurve pro Band über
- Sharp (schnelles Attack und Release),
- Medium (lineare Releasekurve) und
- Smooth (langsamste Hüllkurve, für sustainbetontes Material)
angepasst werden.
Auch der Transient Shaper verfügt über Parallel-Processing, allerdings nicht pro Band, sondern generell über den Mix-Slider im Modul:
Diesen Mix-Regler findet man – wie bereits erwähnt – bei allen Modulen.
Der Exciter
Auch der Exciter verfügt über drei Bänder. Er fügt dem Signal harmonische Verzerrungen hinzu und ahmt damit Sättigungseffekte nach, wie sie bei einer hohen Aussteuerung eines Magnetbandes oder beim Einsatz von Röhren in Analogequipment (vom Preamp über den Equalizer bis zum Kompressor) auftreten. Durch eine entsprechende Platzierung in der Reihenfolge der Module, etwa vor dem Kompressor oder Equalizer, kann man quasi eine Röhrenvorstufe simulieren. Das Einsatzgebiet des Neutron-Exciters reicht von der Anreicherung des Obertonspektrums bis zu Übersteuerungseffekten.
Der Exciter kann in drei globalen Modi betrieben werden:
- Full bewirkt eine Erhöhung des unteren bis mittleren Frequenzbereichs,
- Defined bewirkt eine Erhöhung der oberen Mitten,
- Clear bewirkt eine Absenkung der tiefen Frequenzen.
Um zu starke Höhen in den Griff zu bekommen, ohne auf einen deutlichen Sättigungseffekt verzichten zu müssen, ist ein Kuhschwanz-Filter an Bord, mit dem man diese wieder absenken kann.
Wie beim Kompressor und beim Transient Shaper können adäquate Crossover-Frequenzen der drei Bänder im Lernmodus ermittelt werden.
Die drei Bänder sind ausgestattet mit
- einem Drive-Regler, der letztlich den Grad der Sättigung bzw. Verzerrung bestimmt und starke Peaks ähnlich wie bei dem Kompressionseffekt einer Bandsättigung abrundet,
- einem XY-Feld, in dem die Eckpunkte mit vier Sättigungstypen belegt sind (Retro, Tape, Warm, Tube), deren Charakteristik hier gemischt werden kann.
- einem Blend-Regler, der eine Balance zwischen bearbeitetem und unbearbeitetem Signal erlaubt (Parallel Processing),
- einem Bypass und einem Solo-Button, die vor allem der besseren Kontrolle von Detaileinstellungen beim Editieren dienen.
Die Sättigungscharakteristik „Warm“ ist ähnlich wie „Tube“, nur etwas weicher. Dem gegenüber liefert „Edge“ eher hart klingende Verzerrungen, vergleichbar mit einer hoch angefahrenen Transistorschaltung.
Neutron bietet übrigens auch auf Modulebene Presets an, hier am Beispiel des Exciters:
Das Ausgangsmodul
Am Ende der Bearbeitungskette liegt eine hoch auflösende Anzeige für den Eingangs- und Ausgangspegel.
Das Metering kann über das Options-Menü eingestellt werden:
Der Limiter ist dem Output-Regler nachgeschaltet. Erhöht man also den Pegel mittels Output-Regler, so verstärkt man den Loudness-Effekt des Limiters – vorausgesetzt natürlich, er ist eingeschaltet, denn Neutron kann auch ohne Limiting betrieben werden.
Der Limiter ist so ausgelegt, dass er permanent das eingehende Signal (am Ausgang der Modulkette, also nach der Bearbeitung) analysiert und ein programmabhängiges Limiting durchführt, dessen Ziel es ist, einen natürlichen, transparenten Klang zu erhalten. Bei transientenreichem Signal regelt der Limiter schneller, jedoch ohne dabei die Transienten alle platt zu bügeln. Bei Material mit behäbigem Lautstärkeverlauf schaltet der Limiter einen Gang zurück und passt sich mit einem langsameren Regelverhalten an.
Es stehen drei Limiting-Varianten zur Verfügung:
- IRC II ist auf maximale Transparenz ausgelegt und beansprucht mehr Rechenleistung, daher steigt damit die Lazenz (3772 Samples bei 48 kHz).
- IRC LL arbeitet mit einer geringen Latenz von nur 120 Samples bei 48 kHz und bietet dennoch True Peak Limiting. Qualitätsunterschiede machen sich erst bei starkem Limiting bemerkbar.
- Hard arbeitet ohne Latenz. Ein klassischer Brickwall-Limiter, der allerdings kein True Peak Limiting bietet, da extrem kurze Impulse ohne einen internen „Look Around Modus“ mit entsprechender Latenz nicht erkannt werden können. Aktiviert man das globale „Zero Latency Processing“, so steht folgerichtig nur die Option des Hard Limiters zur Verfügung.
Neutron Advanced und der Surround Modus
Die Advanced Version bietet die Mehrkanalfähigkeit von Neutron, lückenlos von 3.0 (L-C-R) bis zu 7.1 – soweit der Host-Sequencer das unterstützt. Die volle Surroundfähigkeit betrifft auch das Side-Chaining und das Masking: So können Neutron-Instanzen unterschiedlicher Surroundgruppen für das Masking herangezogen werden.
Bevor wir zum Fazit kommen, noch ein abschließendes Anwendungsbeispiel in Surround. Um den 5.1-Mix im Zweikanalton hörbar zu machen, habe ich Waves Nx verwendet. Das binaurale Signal können Sie nur über Kopfhörer einwandfrei hören. Über Monitore treten durch das Transferieren mittels HRTF-Technologie deutliche Klangverfärbungen auf.
Die Protagonisten sind:
- Die bereits bekannten Vocal Loops aus Ueberschall Vocal Dance Hits 2
- Toontracks EZdrummer EZX Electronic
- Die D16 Gruop PunchBox für die Bassdrum
- Steinberg Groove Agent für die Claps
- Rob Papens SubBoom Bass
- der einem Xylophon ähnlichen Klang stammt von u-he Diva, ebenso
- die synthetische Flöte (Ocarina)
Die Verteilung im Surroundfeld (unter Cubase):
Die Originalvocals hört man nur über den Center-Speaker.
So hört es sich ohne Bearbeitung an:
Da gibt es für Neutron eine Menge zu tun.
Für die Vocals habe ich (wie zuvor) das Preset „Female Pop“ verwendet.
Für den EZdrummer habe ich den Track Assistant bemüht. Dieser schlägt eine dynamische Bearbeitung der tiefen Frequenzen vor:
Die Kickdrum, die zuvor fast untergegangen ist, wird nun zu einem hübschen Klopfen, leider kommt es nun zu Überlagerungen mit der PunchBox, weshalb ich das Masking benutze, um die Frequenzen zu trennen.
Für die Claps von Groove Agent benutze ich das Preset „Clap Attack“.
Für den SubBoomBass nutze ich das Preset „Clean 808“ und beseitige sich überlagernde Frequenzen mit der PunchBox wiederum per EQ-Masking.
Beim Diva-Xylophon verwende ich wieder den Track-Assistant, der eine Bearbeitung der Mitten mittels Exciter vorschlägt. Diese Bearbeitung verstärke ich dezent, erhöhe mit dem EQ ein wenig die Höhen und arbeite mittels Transient Shaper die Attacks etwas heraus.
Für die Flöte von Diva verwende ich das Preset „Wood Flute“ aus der Orchesterinstrumenten-Kategorie von Neutron.
Inzwischen sind sieben Neutron-Instanzen am Start, dennoch kommt die CPU-Last auf unserem Testsystem bei 128 Samples Puffergröße nicht über rund 25 % hinaus.
Damit es nicht ganz so trocken klingt, verwende ich für alle Instrumente zusammen ein Hall-Preset aus Altiverb XL in einem FX-Surroundkanal.
Hier das Ergebnis:
Fazit
Neutron leistet als intelligenter, kanalübergreifender Assistent beim Abmischen ganze Arbeit. Im Fokus steht dabei nicht das Mastering, sondern die Bearbeitung von Instrumenten und Gruppen. Neutron ist also kein Ersatz für Ozone 7 oder andere Mastering Suites, sondern eher eine Weiterentwicklung von Alloy.
Der Tracking Assistant produziert nach kurzer Analyse brauchbare Vorschläge, die man als Grundlage für eigene Anpassungen verwenden kann. Per Matching mit Inverse-Funktion und Histogramm sich überlagernde Frequenzen gut lokalisieren und beseitigen. Die Arbeit nimmt man von einer Instanz aus vor, man muss also nicht ständig hin- und herschalten.
Die Module Equalizer, Exciter, Transient Shaper und die beiden Kompressoren sind mit Parallel-Processing ausgestattet, bieten jeweils verschiedene Charakteristika von den Filtern bis zu alternativen Sättigungsmodellen. Der Equalizer kann auch dynamisch als frequenzbandabhängiger Kompressor oder Expander betrieben werden. Mit zwölf Bändern, acht davon vollparametrisch, zehn mit unterschiedlichen Filtertypen, kann man sich über einen Mangel an Klangfarben wirklich nicht beklagen. Alle anderen Module sind mit drei Bändern ausgestattet.
Klanglich ist Neutron flexibel und anpassungsfähig, liefert Klangfarben von Vintage bis zu modern, neutral und transparent. Unterm Strich erweist sich Neutron als angenehm warmer, musikalischer und eher sanfter Klanggestalter – soweit man sich nicht in Extrembereichen der Parametereinstellungen bewegt.
Alle Fähigkeiten von Neutron werden bei Neutron Advanced auf den Surroundbetrieb bis 7.1 erweitert. Zudem können hier die einzelnen Module auch als separate Plug-ins geladen werden.
Man vermisst bei Neutron wenig. Es gibt Mitbewerber, die beim dynamischen EQ eine manuelle Einstellung des Attack- und Releaseverhaltens bieten, was die Möglichkeiten des Sounddesigns nicht unerheblich erweitert. Die automatischen Anpassungen bei Neutron reichen hier nicht in Extrembereiche hinein, etwa ultraschnelle Attacks und Releases für ein millisekundengenaues Herausmeißeln von Transienten. Auch hat man auf eine Mittel/Seitensignal-Bearbeitung verzichtet. Solche feinen Sachen findet man bei Ozone 7, dessen Module man abseits des Masterings auch sehr gut in Instrumenten- und Gruppenkanälen verwenden kann.
Die Bearbeitung gelingt mit Neutron dank einer durchdachten, logisch strukturierten und praxisnah konzipierten Oberfläche recht leicht. Ein Bick ins Manual kann dennoch nicht schaden, will man alle kleinen Details auch mitnehmen und nicht bei einer 70-prozentigen Ausnutzung der Möglichkeiten bleiben. Zudem finden sich im PDF lesenswerte Hintergrundinformationen und Anwendungstipps.
Während Neutron und Neutron Advanced sehr leistungsstarke Werkzeuge zur Klangbearbeitung bei Instrumenten und Gruppen darstellen, stellt die Freeware Neutrino lediglich eine Auskopplung eines eher kleinen Bausteins der komplexen Neutron-Architektur dar. Wer Neutrino antestet, kann daher kaum Rückschlüsse auf die beiden großen Brüder ziehen. Um diese auszuprobieren, lädt man sich besser deren Demo-Version herunter.
Sieht man einmal vom Tracking Assistant und vom Matching ab, gibt es teils deutliche Überschneidungen zwischen Alloy 2, Ozone 7 und Neutron. Wer also mixtechnisch noch gar nicht mit Spezialisten versorgt ist, sollte sich diese beiden Alternativen ebenfalls genauer ansehen und entscheiden, welche Spezifikationen am besten zum eigenen Workflow passen.
Die Preisgestaltung ist fair und kundenfreundlich. Für 249.- US-Dollar erhält man ein umfangreiches Paket an gut ausgestatteten Werkzeugen. Würde man sich diese als separate Spezialisten anderer Hersteller und in etwa gleicher Qualität zulegen, wäre man schnell das Dreifache investieren. Vor diesem Hintergrund sind auch die unten angeführten Minus-Punkte zu relativieren.
Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Tontechniker werden nicht arbeitslos. Neutron liefert zwar über diverse Lernmodi gute Vorschläge, die Feinarbeit, auf die es letztlich ankommt, bleibt aber immer noch Aufgabe des Users. Es reicht also nicht, Neutron-Instanzen in alle Kanäle zu laden und per Track Assistant den Lernmodus zu aktivieren. Das Ergebnis stellt eine willkommene Ausgangsbasis für eigene Arbeiten dar, liefert aber keine perfekte Abmischung auf Knopfdruck.
Auch gibt es auf dem Markt eine Reihe von Spezialisten, etwa aufwändige Vintage-Emulationen von Kompressoren und Equalizern, die durch Neutron nicht ersetzt werden.
Testautor: Holger Obst.
Plus:
- Tracking Assistant liefert komplexe Konfigurationen, passend zum jeweiligen Signal
- Matching erlaubt dank hilfreicher Visualisierungen und Inverse-Funktion das rasche und gezielte Aufräumen im Mix-Regler
- Dynamischer EQ mit Kompressor- und Expander-Funktion, insgesamt 12 Bändern und verschiedenen Filtertypen
- differenzierte Side-Chaining-Optionen
- vier im XY-Feld mischbare Sättigungstypen im Dreiband Exciter
- umfangreiches Angebot von Presets für (fast) alle Instrumente und Gruppen
- logischer Aufbau, geringe Lernhürde
- gemessen an der Leistung niedrige CPU-Last
- faire Preisgestaltung
Minus:
- keine Mittel-Seitensignal-Bearbeitung
- kein manuelles Attack/Release beim dynamischen Equalizer
Preis: 249.- US Dollar (regulär)
Hersteller: iZotope https://www.izotope.com/
Testsystem:
Win 8.1 PC, Intel 6-Core i7, 5930K, mit 3,5-3,8 GHz CPU unter Cubase 8.5, RME Fireface 802, Testprojekt mit 44,1 kHz Samplerate und 24 Bit Auflösung.