Das schrumpfende Studio: Hat die Hardware ausgedient?

Hardware verwschwindet aus den Studios – langsam aber sicher

Es mehren sich ketzerische Stimmen auch im Profi-Lager, die beispielsweise überrascht bekunden, die neuen Plug-ins seinen tatsächlich besser als die liebgewonnene Hardware. „Das unglaublich schrumpfende Studio“ thematisiert das sukzessive Verschwinden von Hardware aus dem Arbeitsfeld eines altgedienten Mastering Ingenieurs, Glen Schick.

Trifft man auf solche Aussagen auf den einschlägigen Seiten prominenter Software-Hersteller, verliert die Botschaft vielleicht einen Teil ihrer Wirkung. Anders sieht es aus, wenn diese fundiert auf neutralem Terrain geäußert wird, wie beispielsweise im Interview mit Stephan Bernsee zum Thema Retro, zu lesen in unserem zweiten iBook Magazin.

George Massenburg, Toningenieur von Weltruf und Erschaffer von Highend-Equalizern, edelsten Dynamikwerkzeugen und Vorverstärkern, war vor ein paar Jahren der Meinung, dass Rechner grundsätzlich nicht die Ergebnisse liefern können, die analoge Hardware bietet, damals nicht und auch nicht in 50 Jahren.

Technisch mag er insofern Recht haben, als digitale Informationen auf Nullen und Einsen begründet sind und keine Zwischenform kennen, aber ist dieses Argument nicht sogar ein bisschen naiv angesichts der immensen Rechenleistung, auf die wir heute zugreifen können, mit Sampleraten bis 384 kHz? Und schlägt sich das „Problem“ der Nullen und Einsen überhaupt noch in einem hörbaren Unterschied nieder? Welche Ohren und vor allem welche Wiedergabeanlagen braucht man, um etwaige Rest-Differenzen zwischen digitalem und analogem Processing noch wahrzunehmen? Bestimmt keine mp3-Player und Ohrstöpsel für das Handy.

Die Soft-Variante des SPL Passeq EQ soll klanglich vom Original kaum zu unterscheiden sein.

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Längst ahmen Algorithmen und eine fortgeschrittene Faltungstechnologie analoges Processing in allen Schattierungen nach. Hybrid-Synthesizer vereinen Syntheseformen von der Emulation analoger Schaltkreise über Frequenzmodulation, Granularsynthese und Wavetables bis zu Physical Modeling, garniert mit digitalen und virtuell-analogen Multimode-Filtern, Modulatoren aller Art, Arpeggiatoren, Step-Sequencern und Effekten. So entstanden schier unergründliche Klanglaboratorien – die als Handware nie gebaut worden sind und auch in absehbarer Zeit nicht gebaut werden.

Vereinte Syntheseformen: Tone 2 Electra 2

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Electra 2, ARP 2600 V2:

 

Die Unterschiede in der finalen Klangqualität sind vielmehr auf die Auswahl der richtigen Plug-ins und Instrumente sowie auf deren adäquate Bedienung zurückzuführen, weniger auf die Verwendung von analogem oder digitalem Equipment.

Bevor Sie vor einem analogen EQ oder Kompressor höchster handwerklicher Fertigungskunst in ehrfürchtigem Staunen verharren, sollten sie Ihren Blick auf die jüngsten Entwicklungen der Software frei machen: Dort gibt es zunehmend ultrapotente, vielseitige und auch innovative Entwicklungen wie etwa

FabFilters Pro Q2, ein EQ, der kaum noch Wünsche offen lässt,

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Sonibe frei:raum mit intelligenter Korrektur des Frequenzspektrums, Manipulation der Raumanteile und chirurgischen Eingriffen in tonale und atonale Bestandteile des Klanges

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oder Brainworx bx_refinement für Wärme und schimmernde Höhen – für den letzten Feinschliff am Mix.

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bx_refinement angewendet auf das zuletzt gehörte Audiodemo:

 

Apropos Brainworx: Die Geschichte des Softwareherstellers begann vor zehn Jahren in einem Tonstudio in Köln. Damals machte sich Dirk Ulrich daran, einen Equalizer mit Mitten-Seiten-Bearbeitung zu bauen – als Hardware. Parallel dazu entwickelte er diesen EQ als Software. Während die Hardware nie fertig wurde, entstand mit Brainworx Digital ein Equalizer, der bald von Profis in aller Welt benutzt wurde und inzwischen in der dritten Generation angekommen ist.

Aber Vorsicht: Nicht alles, was glänzt, ist auch wirklich Gold. Ebensowenig wie jede Emulation hält, was sie verspricht, ist jede teure Hardware der richtige Griff.