Latenz-Management und Verzögerungsausgleich unter Cubase
|In diesem Artikel geht es darüber hinaus um die Problematik unsauber programmierter Treiber bei Audio-Interfaces sowie um unterschiedliche Quellen für Phasenauslöschungen. Wir stellen einige Problemlösungen vor.
Latenz und Audio-Interface
Ein gefühlt direktes Ansprechen des Instruments ist beim timinggenauen Einspielen unerlässlich. In diesem Artikel nehmen wir zunächst die Latenz unter die Lupe. Wir arbeiten dabei mit Cubase; die Vorgehensweise lässt sich aber auch auf andere DAWs übertragen.
Die Latenz ist das Zeitfenster zwischen dem Auslösen eines Klanges per Tastendruck (oder Drum-Pad) und der Wiedergabe über den Monitor. Auch für das Gefühl, mit dem Instrument verbunden zu sein, kurz „Feeling“, ist ein kleines Zeitfenster wichtig. Für exakt eingespielte Drums können das auch deutlich weniger als 7 ms sein, bei Keyboards kommt man in der Regel mit 7 bis 10 ms zurecht. Je nach Audio-Interface stellt man für eine Latenz von 7 ms eine Puffergröße von 64 bis 128 Samples ein (bei 24 Bit, 44,1 kHz). Gut programmierte ASIO-Treiber liefern auch bei einem USB 2.0 – Anschluss hervorragende Werte.
Einen Spitzenplatz bei schnellen Treibern belegen die RME-Produkte und Focusrite Red Net (Netzwerklösungen über Dante), ebenso UAD Apollo-Interfaces für den Mac via Thunderbolt.
Das gute alte Motu 828mK2 mit Firewire 800 ist nach eigener Erfahrung auch eine überraschend schnelle Lösung, etwa 3 ms langsamer als das RME Fireface 802 (wiederum bei 128 Samples Puffergröße, 44,1kHz, 24 Bit). Leider hat sich Apple von Firewire zugunsten von Thunderbolt komplett verabschiedet. Für den PC gibt es immer noch gute, d.h. absturzsichere und schnelle Firewire-Karten mit 400er und 800er Port. Genaueres hierzu weiß der Spezialist, z.B. Digital Audionetworx, Berlin.
Die von den Herstellern angegebenen Latenzwerte sind leider häufig aufgehübscht – mit unerfreulichen Nebenwirkungen. Beim RME Fireface 802 sind sie absolut exakt – eine rühmliche Ausnahme. Wie es bei Focusrite Rednet und UAD aussieht, weiß ich allerdings nicht. Mein altes Motu 828 mKII braucht in Wirklichkeit bei niedrigen Latenzen rund 1 ms mehr als der Treiber anzeigt. D.h.: Cubase wird hier ein kleines Bisschen in die Irre geführt, und es kommt bei Aufnahmen externer Quellen zu zeitlichen Verschiebungen. Bei höheren Puffergrößen ab 512 Samples sind die Werte des Motu wieder exakt.
Zwischen 2010 und 2014 habe ich eine Reihe von Audio-Interfaces getestet. Bei den Produkten namhafter Hersteller und im gehobenen Preissegment lagen die Verschiebungen in der Regel zwischen 0,5 und 1,5 ms, bei RME waren sie immer exakt 0,0 ms. Im unteren Preissegment gab es Produkte mit 3 ms Differenz. Mit der Differenz von einer Millisekunde (Rundummessung) des Motu 828 mKII habe ich jahrelang gearbeitet, ohne dass mir diese besonders aufgefallen wäre.
In der Praxis sind geringe Differenzen von rund einer Millisekunde auch nicht wirklich relevant. Sie erreichen erst eine größere Bedeutung, wenn man beispielsweise externe Kompressoren, Equalizer und Effekte einbindet, und das möglicherweise bei einigen Spuren mehrfach hintereinander, bei anderen gar nicht.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Beim Qualitätsvergleich zwischen Audio-Interfaces kommt es nicht auf 0,5 ms Zeitverschiebung mehr oder weniger an. Kriterien wie Klang, Regelbereich und Rauschfreiheit von Vorverstärkern, transparente und unhörbare AD/DA-Wandler, geringes Jitter (exakte Taktung), Stabilität der Treiber, robuste Verarbeitung der Bedienelemente und langjähriger Support (Anpassung von Treibern an neue Betriebssysteme) sind wichtiger.
Die Rundummessung (Roundtrip)
Wenn Sie die Echtheit der angegebenen Latenz Ihres Audio-Interfaces messen wollen, führen Sie einfach ein Ausgangssignal zurück zu einem Audioeingang (und routen ihn so, dass kein Feedback entsteht). Dann nehmen Sie einen Audioclip mit einem Vorlauf von sicherheitshalber zwei Takten bei 100 BPM auf. Anschließend zoomen Sie in den Aufnahmebeginn der Spuransicht beider Kanäle (Original und Re-Recording) und können nun genau sehen, ob die Amplitude am selben Punkt einsetzt und deckungsgleich verläuft.
Wenn sie die Zeitleiste in Cubase (direkt oberhalb der Tracks, dort, wo Takte, Cycle, Marker angezeigt werden) per Rechtsklick von Takte + Zählzeiten auf Sekunden umschalten, können Sie genau sehen, wie viele Millisekunden ein eventueller Versatz beträgt. Alternativ können auch Samples angezeigt werden. Wenn Sie nun beide Tracks simultan abspielen, hören Sie auch, ob das Signal nur lauter wird (dann läuft es synchron, die Amplituden addieren sich einfach) oder sich auch verfärbt (durch Phasenverschiebungen, die durch unsaubere Treiber verursacht werden).
Wie Phasenverschiebungen im Millisekundenbeereich klingen, können Sie bei Cubase auch ausprobieren, indem Sie eine der beiden Spuren verzögern – über den Time-Slider im Inspector (oder besser per Doppelklick und Werteeingabe):
(Untereinander: Lautstärke, Panorama, Time-Slider)
Durch das Plug-in Precision Time Align von Eventide (Eventide Anthology X) lassen sich statische, also gleichbleibende Verzögerungen und die daraus resultierenden Phasenverschiebungen minutiös ausgleichen.
Precision Time Align von Eventide oder AutoAlign von SoundRadix eignen sich auch, um Phasenauslöschungen durch Laufzeitunterschiede auszugleichen, wie sie bei der Verwendung verschieden weit von der Signalquelle positionierter Mikrofone auftreten.
Zeitverzögerungen können auch durch ein MIDI-Delay, unsauber programmierte Plug-ins und VST-Instrumente, die Cubase falsche Werte für einen Latenzausgleich liefern, entstehen. Dafür braucht man zum Glück keine umständliche Rundummessung wie beim Testen des Audio-Interfaces, sondern beispielsweise ein Zoom in den MIDI-Track und den Audio-Track. Der MIDI-Balken und das Attack im Audiotrack müssen übereinstimmen. Solche Überprüfungen muss man nicht immer vornehmen, sondern sporadisch oder in Fällen, in denen man mögliche Verschiebungen erwartet, etwa, weil viele Effekte im Instrumenten-Kanal eingebaut sind.
Phasenauslöschungen können auch durch Frequenzüberlagerungen verschiedener Instrumente entstehen, ohne dass dabei unsauber programmierte Plug-ins oder unexakt arbeitende Treiber von Audio-Interfaces beteiligt sind, ganz einfach durch ein ungünstiges Zusammenspiel im Mikrokosmos der dynamischen Frequenzspektren. Für die Beseitigung solcher Verfärbungen gibt es auch einen Spezialisten, nämlich SoundRadix Pi. Zum Test des Plug-ins gelangen Sie HIER.
Latenz-Management
Will man bei einem bereits umfangreich mit Effekten ausgestatteten Projekt nachträglich noch mit niedriger Latenz einspielen, bieten sich mehrere Lösungen an: Man stellt die Puffergröße entsprechend niedrig ein, und zwar über das Kopfzeilen-Menü Geräte → Geräte konfigurieren → Einstellungen:
Je nach Audio-Interface tippt man die Puffergröße in Samples direkt im Cubase-Fenster oder im sich daneben öffnenden Setup-Menü des Audio-Interfaces ein.
Nun kann es natürlich passieren, dass es beim Playback zu Audio-Aussetzern kommt, weil zu rechenintensive Plug-ins am Start sind. Anstatt nun
- zu Bouncen oder
- Spuren mit rechenintensiven Instrumenten und Effekten einzufrieren oder auch
- der Reihe nach einige Plug-ins separat auszuschalten,
klickt man im Cubase-Mixer bei gehaltener ALT-taste auf das I (in der folgenden Abbildung mittig):
Damit sind alle Plug-ins ausgeschaltet (mit Ausnahme jener wenigen Plug-ins, die den Bypass-Befehl aus Cubase generell ignorieren und sich nur über einen eigenen Bypass-Schalter umgehen lassen). Der Nachteil gegenüber Bouncen und Freeze ist, dass es sich nun nicht mehr so toll anhört, dafür kommt man mit ALT + I natürlich tausendmal schneller zum Ziel.
Alternativ kann man auch die Taste „Verzögerungsausgleich einschränken“ bedienen (in der folgenden Abbildung das Uhrsymbol links unter dem Spur-Karteireiter) . Dann werden Plug-ins ausgeschaltet, die über eine Look-Ahead-Funktion verfügen (etwa Kompressoren, Limiter, Gates oder kanalübergreifende, das Audiosignal analysierende Plug-ins wie Neutron von iZotope).
„Verzögerungsausgleich einschalten“ kann man auch der oberen Bedienleiste hinzufügen, einfach per Rechtsklick und dann über das Auswahlmenü.
Unter Programmeinstellungen → VST kann man einen Schwellenwert für den Verzögerungsausgleich (bei Aufnahme) setzen. Dann werden nur noch jene Plug-ins deaktiviert, die diesen Wert überschreiten.
Neben dem globalen Schalter „Verzögerungsausgleich einschränken“ sollte es eigentlich noch einen Schalter im Bedienfeld einer Instrumenten- oder MIDI-Spur für das individuelle Ausschalten von Plug-ins nur im betreffenden Kanal geben. Der ist in der default-Einstellung vieler Cubase-Projektvorlagen jedoch nicht vorhanden. Man erreicht ihn über einen Rechtsklick auf das Spur-Infofeld direkt links neben dem Track (nicht im Inspector) und im sich öffnenden Aufklappmenü über Spurbedienelemente:
Die Auswahl an Bedienelementen ist reichlich und über die oberen Karteireiter auf die jeweilige Spurart zugeschnitten:
Über die Schneeflocke kann man hier auf die Schnelle auch eine Spur einfrieren. Uns geht es aber im Moment um den Verzögerungsausgleich, und den erreicht man über das orange eingefärbte Symbol:
In Cubase Pro 9 heißt es nun „Audio Latenzausgleich“. Auch wenn die Wortwahl nicht identisch ist, besteht der Bezug zum Verzögerungsausgleich im Einstellungen-Menü wie oben beschrieben. (Nebenbei: Will man es genau wissen, hilft ja auch immer wieder mal ein Blick ins Handbuch. Auf der Suche danach musste ich feststellen, dass das PDF-Manual in Cubase Pro 9 offenbar noch nicht implementiert ist. Über die Help-Seite von Steinberg erreicht man derzeit auch nur ein englischsprachiges Manual für die aktuelle Cubase-Version.)
Eigene Ausstattungen des Spur-Infofeldes mit Bedienelementen lassen sich innerhalb des oben abgebildeten Auswahlmenüs als Presets abspeichern (vorletzte Abbildung: unten links über das Datei-Hinzufügen-Symbol).
Vielen Dank für Ihr Interesse. Wir machen mit Cubase Pro 9 in Kürze weiter – und kommen dabei zurück zu den Neuerungen.
Holger Obst