Test: Sonokinetic Aliye
|Die Sample Library Aliye präsentiert eurasische Gesänge, Gedichte, Improvisationen und Stimmeffekte. Näheres zur Performance, Qualität und möglichen Anwendungen erfahren Sie hier.
Überblick
Die Library ist ausschließlich der Mezzo-Sopranistin Aliye („Alija“) Mutlu gewidmet und geprägt vom Stil traditioneller Lieder jenes Kulturraumes, der sich über Bulgarien, Rumänien und die Türkey erstreckt und westliche mit orientalischen Elementen verbindet.
Aliye setzt damit Sonokinetics Reihe orientalisch orientierter Gesangslibraries fort. Wir haben bereits Voices of Israel für Sie getestet.
Die rund ein Gigabyte umfassende Library mit über 1930 Samples in 24 kHz Samplerate und 24 Bit Auflösung beinhaltet
- sieben Songs mit einer Reihe von Versen,
- fünf Gedichte,
- eine Sammlung von Vokal-Improvisationen,
- Stimmeffekte wie Lachen, Ausrufe, Atemgeräusche und einfache Aah-Sustains,
- sowie eine Kollektion von Impulsantworten für den eingebauten Faltungshall.
Die Songs und Improvisationen können zum Tempo synchronisiert werden und liegen in verschiedenen Tonarten vor.
Die gesamte Library wird über ein Hauptfenster verwaltet, unterteilt sich also nicht in mehrere Patches.
Aliye benötigt die Vollversion von Native Instruments Kontakt 4.2.4 oder 5.
Zur Einstimmung ein erstes Audiodemo:
Der Beat stammt aus Ueberschall The Resource. Gesang und Beat habe ich mit zwei Instanzen von Eventides UltraChannel etwas mehr Druck verliehen.
Installation
Nach dem Erwerb erhält man einen Link zum Sonokinetic Content Manager sowie einen Download Code. Mit Hilfe des Content Managers startet man den Download der Library durch Eingabe des Codes. Heruntergeladen werden zwei Rar-Dateien, die auf unserem Testsystem vom Content Manager automatisch entpackt wurden. Ein gegebenenfalls erforderliches manuelles Entpacken mit Rarzilla oder einer anderen Freeware sollte keine Hürde darstellen. Eine weitere Autorisierung ist nicht erforderlich.
Im Ordner Aliye finden sich Instrumente für Kontakt 4 und 5 sowie 974 MB Samples. Im zweiten Ordner findet sich das englischsprachige PDF-Manual sowie eine Übersetzung der sieben Songs ins Englische. Zudem gibt es noch ein englischsprachiges Tutorial-Video im Mov-Format, das die Funktionen anschaulich und leicht verständlich erklärt.
Songs
Zwischen den sieben Songs wählt man im Hauptfenster. Dass man dazu auf den Button neben Songs klicken muss, erfasst man noch intuitiv ohne Handbuch oder Tutorial-Video. Dass aber zunächst nur zwei Songs angezeigt werden, wird eingeschworene Verweigerer von Belehrungsmaterial vor eine kleine Hürde stellen.
Des Rätsels Lösung ist, dass in der Werkseinstellung der C-Key aktiv ist und dadurch nur Songs angezeigt werden, die in C-Dur vorliegen. Die Tonart wählt man jedoch nicht über Schalter der Benutzeroberfläche, sondern über die (rot eingefärbten) Key-Switch-Tasten der Klaviatur.
Der Hersteller hat die eingesungenen Phrasen bereits offline transponiert, wie ein Blick in den Sample-Ordner zeigt (hier ein Ausschnitt):
Der Song „Zaydi“ liegt in vier Tonarten vor, „Cemberimde Gul oya“ in sechs.
Rechts im Display wird die aktive Tonart angezeigt.
Eine Anzeige des Originaltempos fehlt hingegen.
Um welchen Song es sich handelt, erfährt man unten links in der Bodenleiste des Kontakt-Interfaces.
Haben Sie den Eintrag „SG – 01 – Zaydi“ gefunden? Sehr minimalistisch, diese Gestaltung. Ein Infofeld mit hübscher Schrift innerhalb des Aliye-Interfaces wäre ansprechender gewesen.
Ein Blick in das PDF-Dokument mit den Übersetzungen der Songs offenbart eine malerische, geschmackvolle Lyrik – kein türkisches Pendant zu „I love you Baby, yeah yeah“.
Neben den Key-Switches gibt es drei blau eingefärbte Zonen auf der virtuellen Tastatur:
Neben den Versen trifft man auf Endings und Atemgeräusche. Die Verteilung der Bereiche ist großzügig angelegt und erfordert eine 88er Klaviatur, wenn man alles ohne Umschalten im Griff haben will. Endings können neben dem manuellen Einspielen via Auto-Ending automatisch nach jedem Note-Off angefügt werden.
Im folgenden Audiodemo hören Sie einen Ausschnitt aus Song Nr. 2, zusammen mit einem Percussion Loop aus Ueberschall The Resource:
Auch hier war wieder Eventides UltraChannel beteiligt, außerdem der interne Faltungshall. Um die Audioqualität der Gesangsaufnahmen zu beurteilen, schalte ich den externen UltraChannel und den Beat aus. Auch den internen Hall drehe ich zurück.
Die Stimme wird technisch einwandfrei abgebildet. Der Klang ist ebenso transparent wie angenehm warm. Weder dominante Zischlaute, die einen De-Esser-Einsatz erforderlich machen würden, noch unerwünschte Nebengeräusche sind zu hören.
Die Lautstärke des internen Halls wird über vertikales Ziehen der Maus im zentralen Bullauge („Wave Orb“) geregelt.
Die zur Library gehörenden Impulsantworten wählt man – etwas ungewöhnlich aber praktikabel – im Edit-Modus von Kontakt aus (per Klick auf den Schraubenschlüssel oben links):
Hier einige Ausschnitte aus Song Nr. 5 mit dem Faltungshallpreset Fat Voc 960:
Die Anpassung an das Tempo erfolgt mittels Time Machine. Kontakt 5 Besitzer sind hier im Vorteil, da die verbesserte Time Machine Pro zur Anwendung kommt.
Um eine übergebührliche Beschleunigung oder Verlangsamung der Phrasen zu verhindern, hat Sonokinetic eine eigenentwickelte Anpassung namens „Intelligent Tempo Mapping“ implementiert. Diese bewirkt, dass bei extrem langsamen oder schnellen Tempi, etwa 40 oder 200 BPM automatisch mit Half- oder Double-Time gearbeitet wird.
Zur Verdeutlichung hier ein Ausschnitt aus Song Nr. 3, Lofca, zunächst im Originaltempo von 144 BPM:
Eine Verlangsamung auf 120 BPM führt zum üblichen Dehnen der Samples, Vibrato und Ornamente werden dabei unweigerlich auch in die Länge gezogen; es hört sich aber gerade noch natürlich an:
Hier bei 103 BPM:
Die Dehnung wirkt nun schon etwas grenzwertig. Schraubt man das Tempo noch weiter herunter, nämlich auf 100 BPM, so passiert Folgendes:
Das Intelligent Tempo Mapping greift und verdoppelt das Tempo, um übertrieben unnatürliche Dehnungen zu vermeiden. Dafür ist jetzt das Vibrato sehr schnell. Das selbe Ergebnis erhält man übrigens, wenn man das Tempo auf 200 BPM einstellt. Von 100 BPM abwärts wird es im Falle dieses Songs dann kontinuierlich langsamer. Bis 60BPM erhält man noch natürlich klingende, befriedigende Ergebnisse.
Gesänge mit lebhaften Ornamenten und Vibrato eignen sich von Natur aus nur bedingt für Timestretching. Ormente verlieren bei Verlangsamung an Spannung und Schwung, ein Vibrato wird in Grenzbereichen zum Leiern oder zur flatternden Tonhöhen-Modulation. Sonokinetics ITM ermöglicht immerhin, dass man sich zwischen rund 50 und 300 BPM weitgehend frei bewegen kann. Innerhalb dieser Spanne gibt es von Song zu Song unterschiedlich positionierte Tempo-Bereiche, die weniger geeignet sind. Ohne das Intelligent Tempo-Mapping würde sich die brauchbare Tempospanne beim obrigen Beispiel (mit Originaltempo 144) lediglich von etwa 110 bis 180 BPM erstrecken.
Eine weitere Besonderheit stellen die Auto-Endings dar. Hier wird beim vorzeitigen Note-Off mitten in der Phrase ein Ending-Sample angehängt. Im folgenden Audiodemo habe ich bei aktiven Auto-Endings einige Verse aus Song Nr. 1 mit vorzeitigem Note-Off gespielt:
Damit Sie die Endings besser identifizieren können, hier die selbe Passage ohne Auto-Endings:
Die automatisch angefügten Endings wirken in vielen Fällen deplatziert und setzen teilweise auch etwas laut und abrupt ein. Crossfades werden dem Höreindruck nach nicht eingesetzt.
In der Praxis braucht man die Endings kaum. Stoppt man einen Vers vor seinem Ende, erklingt sowieso ein weicher Release. Hier ein weiteres Beispiel:
Nimmt man nun noch etwas Hall hinzu, fällt dem der Originalsprache Unkundigen kaum auf, dass der Vers abgeschnitten wurde:
Recht anschaulich ist ein Positionszeiger, der das Wave Orb während des Abspielens ähnlich einem Uhrzeiger durchläuft. So hat man eine optische Rückmeldung über die aktuelle Abspielposition und wird beim Aneinanderhängen von Versen nicht dadurch überrascht, dass ein Sample unvermutet endet.
Die Wellenformdarstellung im Wave Orb ist hingegen rein symbolisch und bei allen Samples gleich.
Improvisationen
Unter Improvisationen finden sich 12 Sammlungen vokalbasierter Melodien in 12 Tonarten und mit jeweils rund 20 mehrtaktigen Variationen. Die Improvisationen machen damit einen wesentlichen Teil der Library aus. Sie dürften isch vor allem im Bereich der Filmvertonung gut machen, wo nonverbale Gesangseinlagen ohne Message gern verwendet werden.
Die Originaltempi der Imrovisationen liegen bei 60 und 180 BPM. Dank Intelligent Time Mapping ist man hierauf aber nicht festgelegt.
Aliye deckt eine Spanne von strahlend, hell und dominant bis zu sanft und einfühlsam ab.
Hier ein Beispiel. Der Rhythmus stammt aus Ueberschall The Resource:
Poems
Unter Poems finden sich fünf Gedichte. Diese werden nicht rhythmisch vorgetragen, eine Tempoanpassung ist daher auch nicht implementiert.
Effects
Hier finden sich Lacher, Ausrufe, einige sehr ungewöhnliche nonverbale Artikulationen zwischen Belustigung, Überraschung und Qual …
… tja, da staunt man …
… sowie einfache Aah-Sustains, die man für ein kleines Terzett oder Quartett verwenden kann:
Fazit
Sonokinetics Aliye eignet sich zunächst aufgrund des reichlichen Angebots temposynchroner und in 12 Tonarten vorliegender Improvisationen gut für die Filmvertonung: Hier kann die klare, ausdrucksstarke Stimme Aliye Mutlus reizvolle Akzente setzen.
Darüber hinaus ist Aliye für jeden eine klare Empfehlung, der mit eurasisch geprägtem weiblichen Gesang arbeiten möchte. Die Protagonistin, Aliye Mutlu, verfügt über eine jugendliche, vitale, und vielseitige Stimme mit besonderem Reiz, flechtet Ornamente und Vibrato gekonnt und stilsicher ein.
Die Audioqualität der trocken aufgenommenen Songs, Improvisationen, Gedichte und Stimmeffekte bewegt sich auf zeitgemäß hohem Niveau. Durch Native Instruments Time-Machine Pro (Kontakt 5) in Kombination mit Sonokinetics Intelligent Tempo Mapping hat man beim Songtempo weitgehend freie Hand. Die vorgefertigten Transponierungen der Songs in mehrere Tonarten sind ohne Verfärbungen oder Artefakte gelungen.
Die Songs eignen sich für eine Bearbeitung mit spezialisierter Pitch-Time Software wie etwa Celemony Melodyne zur Erstellung eigener Melodielinien. Wer dabei nicht Gefahr laufen will, in eine Phantasie-Lyrik abzurutschen, findet in den beigefügten Übersetzungen eine Hilfestellung für sinnvolle Lyrics.
Weniger gelungen sind die automatischen Endings, die in vielen Fällen unpassend wirken und ohne Crossfades teilweise hart einsetzen. Aufgrund des weichen Ausklingens nach dem Note-Off erzielt man hingegen auch beim Stoppen mitten im Vers gute Ergebnisse ohne diese Endings.
Nicht ganz optimal ist der Wechsel zwischen den Songs, der in vollem Umfang nur über die Key-Switches realisierbar ist. Eine 88er Tastatur ist für Aliye zwar nicht zwingend erforderlich, beschleunigt aber den Arbeitsfluss.
Auch wenn die Tempoanpassung sehr gut funktioniert, wäre eine Angabe zum Originaltempo wünschenswert. Hinweise hierzu finden sich lediglich im Sample-Ordner. Laut Herstellerangabe soll dies möglicherweise in einem Update nachgebessert werden.
Die unten aufgeführten Minus-Punkte habe ich der Vollständigkeit halber notiert. Sie schränken die Nutzbarkeit der Library kaum ein und sind eher gering zu gewichten.
Der Preis für die umfang- und facettenreiche Vocal-Library ist fair.
Testautor: Holger Obst
Plus:
- sieben komplette Songs in mehreren Tonarten
- Vielzahl von Improvisationen
- reizvolle, eurasisch geprägte Stimme
- gute Audioqualität
- gute Synchronisierbarkeit durch Intelligent Tempo Mapping
- fairer Preis
Minus:
- Auto-Endings liefern häufig unbrauchbare Ergebnisse
- Im Bedienfeld keine Angabe zum Originaltempo
Systemanforderungen und Formate:
- Vollversion von Kontakt 4.2.4 oder 5
- Mac/PC: AAX, RTAS, AU, VST, Standalone
- 32 und 64 Bit
Hersteller:
Testsystem:
- PC Intel Core i7 3930K, Windows 7, Cubase 7, Kontakt 5, Motu 828 mKII
- Testprojekt mit 44,1 kHz Samplerate und 24 Bit Auflösung
- Alle Audiodemos in 128k mp3