Test: Soundiron Traveler Organ

Bei Soundirons jüngster Sample-Library geht es um ein Museumsstück: Eine etwa 120 Jahre alte Pfeifenorgel, eine echte Rarität, die heute kaum bezahlbar wäre – ganz anders ihr digitales Pendant, welches kaum mehr als ein Taschengeld kostet. Wie klingt diese Orgel? Hebt sie sich von anderen gesampelten mobilen Pfeifenorgeln ab, die meist auf nostalgische Jahrmarktsmusik setzen und darüber hinaus kaum zu verwenden sind? Für welche Anwendungen eignet sich die Traveler Organ?

Recording Soundiron Traveler Organ

Überblick

Die Library bietet 26 Kontakt-Instrumente, die auf knapp 1700 Samples in 24 Bit/48 kHz zurückgreifen.

Hinter der Traveler Organ verbirgt sich eine Pfeifenorgel des Herstellers Clough & Warren. Die 1850 in Detroit gegründete Forma schuf einige der teuersten Orgeln und Pianos amerikanischer Produktion. Die kunstvoll verzierten und aus edlen Hölzern gefertigten Instrumente wurden bis 1910 in den USA und Kanada verkauft.

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Die mit 13 Registern ausgestattete Traveler Organ wurde mit drei Neumann Mikrofonen trocken und ohne Raumanteil aufgenommen. Die im Multisample-Instrument vorliegenden Klangfarben stellen dabei Kombinationen aus den Registern des Originals dar. Es ist beim virtuellen Instrument nicht möglich, die Register originalgetreu selbst zu mischen oder die verwendeten Mikrofone in Lautstärke und Panorama zu verändern. Anstatt dessen stehen für jedes Kontakt-Instrument verschiedene Artikulationen, erreichbar über ein Aufklappmenü zur Verfügung:

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Über den File-Browser erreicht man 10 Basis-Instrumente …

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… sowie weitere Effektsounds:

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Markante Klangfarben der Einschwingphase wurden ebenso eingefangen wie Nebengeräusche, etwa ein dezentes Knarren des Blasebalgs, der die Pfeifen mit einem Luftstrom versorgt. Auch Release-Samples sind an Bord. Artikulationen wie Diminuendo und Staccato werden neben der herkömmlichen Sustain-Betriebsart geboten.

Die vergleichsweise große Datenmenge von rund 3,7 GB ergibt sich auch daraus, dass die Samples angenehm lang sind und über viele Sekunden gehalten werden können. Dies betrifft insbesondere die Diminuendo-Artikulationen, wie wir noch hören werden. Soweit Loops zum Einsatz kommen, sind diese sauber gesetzt und in der Praxis unhörbar.

Ein Arpeggiator sorgt bei Bedarf für automatisch ablaufende Tonfolgen.

Das Original verfügt über 61 Tasten, die virtuelle Version beansprucht mehr als 88 Tasten. Auch Instrumente mit anschlagsdynamisch gestaffelten Layern sind an Bord. Da das Original nicht im herkömmlichen Sinn anschlagsdynamisch spielbar ist, wurden hierfür die leiseren Solo-Voicings (bei denen eine Pfeife zum Einsatz kommt) für Piano bis Mezzoforte, und aufwärts die lauteren Duo-Voicings (mit zwei Pfeifen) verwendet. Zwischen beiden wird sanft überblendet, sodass keine plötzlichen Lautstärkesprünge oder Brüche im Klang auftreten.

Die Lautstärke lässt sich zudem über einen Controller, etwa über ein Expression-Pedal nach MIDI-Lerndialog steuern:

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So werden auch manuelle Crescendi/Decrescendi oder dramaturgische Gestaltungen der Dynamik möglich.

Es kommen auch Round-Robin-Samples zum Einsatz, für ein Instrument dieser Preisklasse keine Selbstverständlichkeit: Spielt man dieselbe Taste mehrfach hintereinander, so sind subtil abweichende Nuancen in der Klangfarbe zu hören. Auch treten bei einigen Tasten leise Nebengeräusche auf, etwa ein Klicken im Attack, jedoch nicht bei allen, sondern nur bei einigen der alternierenden Wiederholungssamples. Insgesamt wird durch die Round Robins ein lebendiges, organisch und nicht maschinell wirkendes Klangverhalten erzielt.

Die Bandbreite an Klängen ist groß: Von einem sanften, zarten Orgelklang für romantische oder melancholische Stimmungen bis hin einem beeindruckend vollen, beinahe majestätischen Klang reicht die Palette der unbearbeiteten Registerkombinationen des Originals. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die Traveler Organ kann zwar eine regelrechte Orgel-Klangwand entfalten, ersetzt oder konkurriert aber nicht mit ausgewachsenen Kirchenorgeln, die in Bauweise und Klang ein anderes Kaliber für andere Anwendungszwecke darstellen.

Das Repertoire an naturgetreuen Klängen wird durch verfremdete Effektsounds ergänzt, die speziell für die Filmmusik oder auch Ambient geeignet sind.

Eigene Verfremdungen sind auch innerhalb des Instruments über das FX-Menü erzielbar.

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Hier bietet sich neben Amp/Speaker-Simulation und Sättigungsmodulen der Faltungshall an, der neben zahlreichen Räumen vom Badezimmer bis zur Kathedrale auch Effekt-Impulsantworten mit ausgefallenen Resonanzmustern beinhaltet.

 

Installation

Nach dem Erwerb erhält man einen Download-Link. Den rund 3,7 GB großen Ordner kopiert man auf eine Festplatte der eigenen Wahl. Von dort aus können die Instrumente über den File-Browser (der Vollversion) von Native Instruments Kontakt 5.5 ohne eine weitere Autorisierung geladen werden. Neben einer Standalone-Version läuft Kontakt auf Mac und PC in allen gängigen Plug-in-Formaten. Der kostenlose Kontakt Player wird nicht unterstützt.

 

Auswahl an Klängen und eigene Klanggestaltung

Bei Surfen durch die Instrumente trifft man zunächst auf die (nicht anschlagsdynamische) Traveler Organ – Main. Diese beansprucht 246 MB Arbeitsspeicher und stellt damit das ressourcenintensivste Instrument dar. Für heutige Verhältnisse sind das recht genügsame Werte. Das Instrument wiegt insgesamt 2,44 GB – das Meiste davon wird gestreamt. Ungeachtet dessen stellt sich heraus, dass die Traveler Organ auch bei niedrigen Puffergrößen und geringer Latenz wenig CPU-Leistung einfordert. Auch das Festplattenstreaming hält sich in Grenzen, sodass es nicht erforderlich ist, die Library auf einer SSD-Festplatte zu installieren.

Die ersten Töne, die das Instrument von sich gibt, wirken eher verhalten und weich.

 

Das ändert sich schlagartig, wenn man den letzten der sechs in Registeroptik gehaltenen Regler mit der Bezeichnung „Oct“ bewegt.

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Hier wird zunächst eine tiefere, dann zusätzliche eine höhere Oktave beigemischt. Für fließende Klangveränderungen bietet es sich an, diesen Regler über Rechtsklick und MIDI-Learn einem externen Controller zuzuweisen (oder per Mausbewegung als Automation aufzuzeichnen).

Mit voller Oktavierung hört sich unsere Phrase jetzt so an:

 

Die Samples sind vorbildlich trocken, sodass externe Effekte aller Art eingesetzt werden können, ohne dass Raumanteile vermischt werden und es zu verwaschenen Klängen kommt. Wenn es um einen exemplarischen Hall während der Einspielphase geht, reicht der interne Faltungshall, den man über das FX-Rack erreicht, allemal:

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Für die nächsten Audiodemos lasse ich den Faltungshall eingeschaltet, beigemischt mit etwa 30%.

Bleiben wir zunächst noch bei der Artikulation „Sustain Solo“, die per default geladen wird. Über den Regler „VIB“ blendet man – wie sollte es anders sein – ein Vibrato ein, welches zugleich in der Geschwindigkeit geregelt wird. Es handelt sich also um ein „One-Knob-Vibrato“: Mit zunehmender Vibratostärke nimmt uch dessen geschwindigkeit zu, was dramaturgisch Sinn macht und der klassischen Vibrato-Anwendung bei E-Orgeln entspricht. Auch hier bietet sich eine Controllersteuerung an – beispielsweise über das Modulationsrad. Dabei fällt auf, dass der Hersteller alle Reglerbewegungen invers angelegt hat. Bei Minimalstellung des Modulationsrades hat man also 100% Vibrato, dreht man das Rad nach vorne, so geht der Effekt zurück bis auf 0%.

Kontakt bietet die Möglichkeit, das auf einfache Weise zu ändern, nämlich über den Browser-Tab „Auto“, Reiter „Midi Automation“ und hier ganz unten links in den Feldern From % / To %:

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Hier habe ich Vibrato und Octavierung gegenläufig dem Modulationsrad zugewiesen:

 

Die anderen Regler bieten die bereits erwähnte Volumensteuerung, eine Attack-Release-Hüllkurve sowie einen Offset-Parameter, mit dem der Sample-Start verschoben werden kann. Will man Attack-Nebengeräusche außen vor lassen, so bewegt man diesen virtuellen Registerknopf ein Stück weit nach vorne. Damit verzichtet man allerdings auf einen Teil der charakteristischen Anblas-Nebengeräusche und Klicks der Mechanik, die vor allem in der Attackphase auftreten. (Während der Sustain-Phase liefern Blasebalggeräusche weitere Kolorierungen und unterstreichen die Patina des altehrwürdigen Instruments.) Im folgenden Audiodemo hören sie exemplarisch die Noten E0 und E3, deren Round Robins solche Nebengeräusche aufweisen:

 

Das Main-Instrument bietet (wie andere Instrumente auch) eine Auswahl an Artikulationen, unter denn hier verschiedene Registerkombinationen zu verstehen sind. Neben dem Aufklappmenü kann man diese Artikulationen auch über Key-Switches umschalten. Diese liegen auf den Tasten C-2 bis Gis-2, also außerhalb des Spielbereichs einer 88er Klaviatur. Will man sie umschalten, ohne die Klaviatur zu transponieren, benötigt man ein Zweitkeyboard.

Zur Auswahl innerhalb des Master-Instruments zählen Sustain-, Staccato und Diminuendo-Artikulationen, welche jeweils als Single-Versionen vorliegen, bei denen eine Pfeife pro Ton in Betrieb ist, und zudem als Duo-Versionen, bei denen zwei oder mehr leicht gegeneinander verstimmte Pfeifen angeblasen werden. Außerdem gibt es für Sustain- und Staccato-Spielweisen eine Vox Humana – Artikulation mit deutlicher Kolorierung durch Luftstrom-Geräusche.

Im folgenden Audiodemo hören Sie nacheinander die Artikulationen Sustain Solo, Sustain Duo, Sustain Vox Humana und Diminuendo Soft:

 

Das Diminuendo bietet extrem lang ausklingende Samples, hier die Artikulation Dimunuendo Duo des Master-Instruments:

 

Hintergrundklänge für Ambient, Filmmusik, Spielevertonung und Multimedia bieten diverse Amb-Instrumente, hier Amb Gypzum 1, in verschiedenen Lagen gespielt:

 

Auch diese beinhalten Variationen per Aufklappmenü oder Key-Switches. Sphärisch und gespenstisch präsentiert sich Amb Transience 1. Auch diese Klänge lassen sich mittels Octavierungsregler und Vibrato gestalten:

 

Im Instrument „Sound Effects“ finden sich unter anderem Tasten- und Blasebalggeräusche sowie isolierte Release-Samples.

Im folgenden Audiodemo habe ich die Tastengeräusche für einen Rhythmus verwendet. Dabei kam der interne Arpeggiator zum Einsatz, zu dem wir gleich noch kommen werden. Auch habe ich aus dem FX-Rack die Bandsättigung und die Amp-Simulation eingeschaltet, um dem perkussiven Track mehr Präsenz zu verleihen. Die Blasebalggeräusche sind für die fremdartige Geräuschkulisse verantwortlich, die später einsetzende Tonfolge liefern hingegen die isolierten Release-Samples, welche ebenfalls den Arpeggiator benutzen. Insgesamt habe ich also drei Instanzen des Sound-Effect-Instruments innerhalb von Kontakt verwendet.

 

Ziemlich urwüchsig und wild wird es mit den Presets aus dem Custom-Ordner. Hier kommen die internen Effekte zum Einsatz, zum Beispiel die Bandsättigung beim Instrument „Dirty Harmonica“:

 

Die Drums stammen von Toontracks Superior Drummer, der Kontrabass aus Ueberschall Upright Bass.

Das Instrument „Electrokeyz“ nutzt fast alle internen Effektmodule …

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… und klingt so (im Hintergrund ein Noise-Beat aus Spectrasonics Omnisphere 2):

 

Der Arpeggiator

Bevor wir zum Fazit kommen, werfen wir noch einen Blick auf den Arpeggiator:

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Dieser bietet verschiedene Abspielmodi, einen per Stift zeichenbaren Dynamikverlauf der Tonfolge mit bis zu 32 Schritten, eine Temposynchronisation einschließlich triolischer Arpeggien, Swing- sowie Notenlängenregler (Duration) und, sehr lobenswert, eine Zufallsfunktion (für das Timing). Neben dem üblichen Normal- und Latch-Modus (Hold) gibt es noch einen Hold +/- – Modus. Dabei können Noten dem Arpeggio hinzugefügt und beim erneuten Spielen der betreffenden Taste wieder herausgenommen werden. Steuert man Swing, Duration und Random dezent über externe Controller, so lassen sich sehr abwechslungsreiche Tonfolgen abseits der üblichen maschinenartigen Sequenzen einspielen.

 

Fazit

Bei Soundirons Traveler Organ handelt es sich nicht um einen digitalen Leierkasten für Kirmesmusik, sondern um ein in Samples gegossenes, edles Stück Handwerkskunst, eine blasebalgbetriebene Pfeifenorgel, die vermutlich Ende den 19. Jahrhunderts gefertigt wurde.

Dem Hersteller ist es gelungen, den ebenso erlesenen wie archaischen Klang des seltenen Instruments in ausgezeichneter Samplequalität trocken und ohne Raumanteil aufzuzeichnen. Round Robin – Samples und eine Vielzahl dezent kolorierender Nebengeräusche machen die Traveler Organ lebendig und produzieren einen authentischen, packenden Klang mit angenehm dosierter Patina.

Die fertig gemischten Register des Originals liefern eine Klangpalette von dezent und verhalten bis zu dominant und majestätisch. Eine einfach einzurichtende Steuerung von Lautstärke, Vibrato und mischbaren Oktavierungen via MIDI-Controller ermöglicht eine abwechslungsreiche Performance.

Dem nicht genug sind auch noch eine Reihe von äußerst kreativen, inspirierenden Effektklängen und Verfremdungen an Bord. Dazu zählen geräuschhafte Texturen, perkussives Material und Ambiences ebenso wie rockig-bluesige, angezerrte Klänge mit reichlich Biss, die es mit mancher Hammond-Simulation aufnehmen können. Hier kommen teils Effekte des internen modularen Racks, unter anderem mit Amp/Speaker-Simulation und Bandsättigung zum Einsatz. Per Modulationsrad lassen sich teils Filter- oder Overdrive-Effekte einblenden.

Für temposynchrone Tonfolgen sorgt ein kleiner aber feiner Arpeggiator.

Das Anwendungsspektrum ist denkbar breit aufgestellt und reicht jenseits klassischer Orgel-Kompositionen von Pop, Blues, Rock und Jazz über Ambience, Filmmusik und artverwandten Genres bis zu experimentellen Arbeiten, die auf einen urwüchsigen, eigenständigen Sound setzen.

Soundiron beweist mit Traveler Organ erneut, dass auch die in der unteren Preiskategorie angesetzten Produkte des Hauses liebevoll aufgearbeitet und technisch einwandfrei konfiguriert sind. Auch bei der Audioqualität geht man keine Kompromisse ein – diese spielt sich auf höchstem Niveau ab.

Die Preisgestaltung dieses exzellent und kreativ aufbereiteten, charismatischen Instruments ist ausgesprochen kundenfreundlich.

Testautor: Holger Obst

Best Value Award

Plus:

  • einzigartiges, seltenes Instrument
  • charaktervoller, ausdrucksstarker Klang
  • exzellente Audioqualität
  • trockene Samples
  • breite Palette an Anwendungsmöglichkeiten
  • zusätzlich kreative, inspirierende Effektklänge
  • sehr günstiger Preis

Minus:

Preis: 49.- US-Dollar (regulär)

Systemvoraussetzungen:

  • Kontakt 5.5 Vollversion
  • Windows® 7 aufwärts (32 und 64 Bit)
  • Mac OS® X 10.8 aufwärts (32 und 64 Bit)
  • Formate: Standalone, AAX, RTAS, VST, AU

Hersteller: Soundiron

Produktseite

Bewertungsübersicht
  • 100%
    Klangqualität - 100%
  • 100%
    Klangangebot / Vielseitigkeit - 100%
  • 90%
    Optionen für eigene Klanggestaltung - 90%
  • 100%
    Preis-Leistungsverhältnis - 100%
97.5%

Kurzfassung

Soundiron beweist mit Traveler Organ erneut, dass auch die in der unteren Preiskategorie angesetzten Produkte des Hauses liebevoll aufgearbeitet und technisch einwandfrei konfiguriert sind. Auch bei der Audioqualität geht man keine Kompromisse ein – diese spielt sich auf höchstem Niveau ab.

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