Test: Sugar Bytes Aparillo
|Der FM-Synthesizer Aparillo ist ein Spezialist für komplexe cineastische Klangkollagen und Texturen. Im Orbit steuert man durch den Klangkosmos und produziert praktisch endlos neue Sounds.
Dass Sugar Bytes vornehmlich extravagante Klangerzeuger mit einer speziellen Architektur, ungewöhnlichen Bedienelementen und nicht zuletzt einem effektvollen Sound entwickelt, haben wir bereits bei Cyclop, Obscurium und Factory gesehen. So wundert es wenig, dass Aparillo fernab gängiger FM-Synthesizer operiert.
Weder trifft man auf die traditionelle Architektur mit verknüpften Operatoren, noch beschränkt sich Aparillo auf herkömmliche FM-Sounds. Schon ein erster Blick auf die Bedienoberfläche macht klar, dass man sich von Konventionen verabschiedet, wenn man mit Aparillo arbeitet. Das Erscheinungsbild ist futuristisch und bewegt. Die Punkte im zentralen mittleren Bereich bilden die LFO-Modulation der einzelnen Stimmen des Klangerzeugers ab und signalisieren bereits, dass alle Stimmen einer ständigen Transformation unterworfen sind:
Und so sieht es aus, wenn man zum Orbit wechselt:
Hier zappt der in metallischem Rot glänzende Punkt zwischen den Symbolen hin und her und produziert dabei wechselnde Verknüpfungen, die als gestrichelte Linien erscheinen.
Nun fragt man sich, was die Symbole bedeuten. Das Lesen von Bedienungsanleitungen ist bei vielen Musikern nicht besonders beliebt. Doch erfreulicherweise kann man bei Aparillo ohne Vorkenntnisse sofort einsteigen: Kreuzfahrten durch Aparillos Klangwelten mittels Orbit-Objekt macht definitiv Spaß. Auch ohne sich darum zu kümmern, was hier eigentlich vor sich geht, kann man mit diesem Synthesizer sofort in die Klanggestaltung einsteigen.
Alleine die rund 500 Presets bieten einen reichlichen und vielseitigen Vorrat an produktionsfertigen Klängen oder auch Startvorlagen. Die Abbildung zeigt links die meisten Kategorien und rechts einen Teil der Auswahl aus der Kategorie Ambience:
Hier erkennt man auch sofort, dass Aparillo mehr kann als Texturen und morphende Klanglandschaften. Auch Bässe, schöne FM-Glocken, Drums, Percussion, Keys und vieles mehr sind an Bord.
Hier das modifizierte Preset Tiny Piano, welches polyphon gespielt werden kann. Die Klangtransformationen des Spielzeugklaviers habe ich mit dem Orbit erzeugt:
Das Thema stammt aus Toontrack EZkeys, MIDI-Pack Movie Scores. Das Toontrack Grand Piano spielt im Hintergrund.
Hier noch einmal mit dem Originalpreset „Tiny Piano SB“:
(SB steht übrigens für Sugar Bytes als Autor. An der Library waren auch externe Klangdesigner beteiligt.)
Für die folgenden Klänge reicht es, wenn man ein paar Tasten abwechselnd gedrückt hält:
Die Sounds stammen aus den Kategorien Ambience, Atonal und Cinematic.
Zurück zur intuitiven Vorgehensweise: Klappt man erneut das Orbit auf …
… und vollführt einen Rechtsklick auf die Symbole (hier eine Auswahl) …
… so wird deutlich, zwischen welchen an der Klangerzeugung beteiligten Modulen man morpht. Die angezeigten Parameter kann man im Kontextfeld verändern und diese Veränderung bei Anfahren des entsprechenden Icons mit dem Orbit-Objekt auch akustisch kontrollieren. So steigt man spielerisch und ohne Manual in die Klangerzeugung ein.
Auch hat man schnell entdeckt, wie man einen Bewegungszyklus des Orbiter-Objekts aufnehmen kann:
Die Aufnahme startet man mit dem Record-Taster (1). Will man eine Position innerhalb des Orbits statisch wiedergeben, also die fortwährende Klangtransformation unterbrechen oder unterbinden, so schaltet man die Bewegung einfach aus (2).
Das Orbit-Objekt kann man nicht nur
- in Echtzeit mit der Maus,
- als Animation,
- als Playback einer zuvor aufgezeichneten Bewegung,
- sondern auch über zwei Controller bedienen. Wer über ein XY-Pad verfügt, ist dabei klar im Vorteil. Die Steuerung wird über die virtuellen MIDI-Buchsen per Lerndialog zugewiesen.
Auf das Orbit kommen wir am Ende des Tests zurück und beleuchten weitere Details, etwa die Zuweisung von Positionen des Orbiter-Objekts zu Tasten der Klaviatur.
Alleine mit der oben beschriebenen Arbeitsweise und den Presets kommt man schon sehr weit und kann praktisch unendlich viele Klänge und Klangfahrten realisieren. Mit Aparillo lassen sich spielerisch und intuitiv vielschichtige Klangkulissen entwerfen, farbenfrohe und facettenreiche Morphings erzielen. Der Klang ist reich an Details, kann sehr dicht sein und wirkt modern, frisch, sphärisch. Auch Drums und Leads mit deutlicher Nähe zu virtuell-analogen Klängen finden sich unter den Werkspresets.
Hat man sich erst einmal ausgetobt, sollte man unbedingt tiefer in das Editieren eindringen. Dabei wird man feststellen, dass auch 500 Presets nicht reichen, um alles abzudecken, was Aparillo kann. Besonders wenn es darum geht sehr direkte, frontale Sounds zu generieren, ist eigene Kreativität gefragt. Die Presets zielen zum großen Teil auf großes, cineastisches Kino und bedienen sich häufig der eingebauten Effekte. Aparillo kann aber auch ohne diesen zugegebenermaßen beeindruckenden und exquisiten Zuckerguss aus Spacializer, Echo und Hall überzeugen und klingt ausgesprochen lebendig.
Überblick
Aparillo ist ein 16-stimmiger FM Synthesizer mit speziellem Unisono-Modus. Speziell ist dabei die umfangreiche Modulation der einzelnen am Unisono beteiligten Stimmen. Bei den meisten anderen Synthesizern werden Unisono-Stimmen lediglich gegeneinander verstimmt, um einen breiteren Klang zu erzielen. Aparillo verwendet hingegen viele Parameter, die alle individuell pro Stimme moduliert werden können. So erhält man bei Bedarf 16 völlig unterschiedliche Stimmen. Entsprechend farbenfroh und bewegt ist das Aparillo-Unisono, das diesen Begriff neu definiert und bislang unbekannte Klangwelten erschließt.
Grundlage für die Klangerzeugung sind zwei miteinander interagierende FM-Operatoren, die in drei alternativen Algorithmen und drei Harmonie-Modi (dazu später mehr) miteinander verschaltet sind. Die Operatoren bestehen aus einem Carrier, der eine Sinus-Wellenform verwendet, und einem Modulator. Die Sinuswelle ist als solche allerdings am Ende der Klanggestaltung kaum noch erkennbar, da sie nach allen Regeln der Kunst moduliert wird. Über Ratio und Amount kontrolliert man die grundlegende (Ober)tonstruktur mit (Dis-)harmonien sowie die Stärke der Modulation. Über ein globales Tuning können die Operatoren um plusminus vier Oktaven gestimmt werden, über Finetuning auf hundertstel Cent genau.
Die Basisklänge mit FM-Komplexitäts- und Ratio-Modi, Wave-Shaping und -Folding, Formant-Shifting, Höhenanreicherung und Jitter werden von einem Spacializer und Multimode-Filter geformt. Die Effektabteilung verfügt über einen polyphonen Panner, der die einzelnen Stimmen separat im Panorama verteilt, ein temposynchrones Echo und einen algorithmischen Hall.
Von diesen Effekten machen viele der Werksklänge Gebrauch und wirken alleine dadurch extrem breit, raumgreifend und cineastisch. Will man eigene Wege auf Grundlage solch spektakulärer Sounds gehen, lohnt es sich bisweilen, die Raumeffekte zunächst etwas zurückzunehmen. Damit deckt man in einigen Fällen den Detailreichtum der Klänge erst richtig auf.
Zehn Modulationsquellen werden geboten, darunter ein komplexer polyphoner Dual-LFO mit inbegriffener Frequenzmodulation und Gravitationsregler. Der Dual LFO produziert durch Modulation der einzelnen Stimmen des 16-fachen Unisonos die beeindruckende Vielschichtigkeit. Ein Skalengenerator sorgt wiederum für atonale oder harmonisch-melodische Klänge. Ein Arpeggiator extrahiert die einzelnen Stimmen und gibt sie nach bestimmten Regeln wieder. Der Arpeggiator ist eng mit dem DUAL-LFO verknüpft. Durch ihn entsteht eine weitere Klangebene, die auch Rhythmik erzeugen kann.
Als Modulatoren gibt es des weiteren zwei ADSR-Hüllkurven. Nicht zuletzt kann auch die Anschlagsstärke diversen Parametern als Modulator zugewiesen werden.
Der eingangs beschriebene Orbiter setzt dem ganzen die Krone auf und ist quasi ein Hyper-Modulations- und Morphing-Werkzeug.
Erste Schritte
Für erste grundlegende Eingriffe in Werksklänge bieten sich folgende Arbeitsschritte an:
Mit dem Arpeggiator-Regler (1) steuert man dessen globalen Anteil. In der Linksstellung hört man nur den Originalsound, in der Rechtsstellung nur den Arpeggiator und dazwischen ein Mischverhältnis. Wer an den Klängen erst einmal ohne Arpeggio arbeiten will, dreht diesen Regler also nach links.
Die Pünktchen im zentralen Display markieren die LFO-Werte der einzelnen Stimmen, die nacheinander vom Arpeggiator abgerufen werden. Die aktive Stimme wird über einen Laufbalken am oberen Rand dieses Displays angezeigt. Über Rate (2) bestimmt man die Geschwindigkeit (temposynchron bis zu 1/128tel für einen Durchgang). In der zentralen Mittelstellung bleibt der Arpeggiator auf einer Stimme stehen. Mittels Decay (3) steuert man die Ausklingzeit jeder einzelnen Stimme.
Hier habe ich ausschließlich das Decay moduliert, C1 und C5 gespielt:
Das zeigt, wie man alleine mit dem Arpeggio und dem Decay-Regler scharfe perkussive Klänge oder sich ausbreitende Drones erzeugen kann.
Da die Werksklänge die Effekte ausgiebig nutzen, sollte man im zweiten Schritt nachschauen, wie sich diese auf den Klang auswirken. Für das Audiodemo oben habe ich die Effekte neutralisiert. Um später an den Operatoren und den LFOs zu arbeiten, ist das von Vorteil, da man dann den puren Grundsound hört. Die Pfeile zeigen die entscheidenden Einstellungen an, um die Effekte auszuschalten.
Die Modulation einzelner Parameter lässt sich neutralisieren, indem man einen Doppelklick auf den Amount-Regler ausführt, hier am Beispiel der LFO2-Modulation des FM-Parameters von Operator 2:
Im Folgenden gehe ich teils sehr detailliert und mit Tutorialcharakter auf die einzelnen Bedienelemente und Funktionen ein.
Die Architektur
Die Operatoren und das Synthese-Fenster
Die beiden über plusminus vier Oktaven stimmbaren Operatoren verfügen über einen Carrier, der eine Sinuswelle bereitstellt, und einen Modulator. Ratio kontrolliert die Tonhöhe des Carriers im Verhältnis zur gespielten Note. FM fügt eine Frequenzmodulation hinzu und verzerrt damit die Sinuswelle. Im Hintergrund der Fader wird der Parameterwert für alle 16 Stimmen in Form dünner Balken angezeigt.
Über Form kann man die Grundwellenform der Oszillatoren unabhängig voneinander verändern: Hier werden Formanten transponiert, ein Waveshaper eingeschaltet und über Fold mittels Verstärkung durch eine eingerechnete Sinuswelle das Obertonspektrum bereichert.
Jitter randomisiert die Tonhöhe der Oszillatoren. Dabei wird ein granulares Muster zur Steuerung der Tonhöhenabweichung verwendet. Hier habe ich den Jitter-Regler langsam hochgezogen und dann wieder zurück bewegt:
Hier habe ich Jitter und Brightness moduliert:
Ein Werkssound ohne Brightness …
… und mit:
Brightness formt die Sinuswellen der Oszillatoren zu Sägezahnwellen und generiert mehr Obertöne.
Die Algorithmen 1, 2 und 3 bestimmen, ob die beiden Operatoren voneinander unabhängig arbeiten oder sich in zwei Alternativen gegenseitig beeinflussen.
Zudem gibt es pro Algorithmus drei verschiedene harmonische Modi, die grundlegend entscheiden, ob der Klang atonal, harmonisch oder kristallklar und obertonreich sein soll. Der disharmonische Modus eignet sich beispielsweise für kräftige, bassbetonte Klangtexturen. Im kristallklaren H-Modus werden sogar die Bässe extrem sägend, kantig und mit reichlich Obertönen versehen. Diese grundlegenden Klangcharaktere kann man natürlich mit den Modulationsoptionen, dem Multimodefilter und den Effekten noch drastisch transformieren.
Hier habe ich eine rohe Maschinengeräusch-Kulisse (Algorithmus 3, Harmonic Mode H) mit dem Cutoff des Filters (Low Pass dirt) eingeblendet. Der polyphone Panner lässt die einzelnen Stimmen durch das Panorama wandern:
Unterhalb der Fader weist man den gewünschten Modulator zu …
… und bestimmt, welche Stimmen moduliert werden sollen.
Die Modulatoren Up, Down, Exp, Log und Flat weisen den 16 Stimmen statische Werte zu, etwa eine stetig ansteigende Tonhöhe von der ersten bis zur sechzehnten Stimme bei Up.
Hier habe ich die Frequenzmodulation des ersten Operators mit der Modulation Up geformt, den Einfluss mit dem Amount-Regler auf maximal gestellt (1) und über die Stimmenauswahl den Einfluss auf die höheren Lagen fokussiert (2).
Der oben erwähnte Harmonie-Generator nennt sich Shift und ist über dieses Symbol erreichbar (1). Er weist den 16 Stimmen Tonhöhen zu. Die Skala oder die Intervalle (Dur, Moll, Quinten, Oktaven etc.) wählt man über den Taster ganz rechts (2). Links darunter kann man die Quantisierung einschalten.
Die LFOs
Beeindruckende Klänge entstehen, wenn man Shift über den LFO moduliert (3). Hier bestimmt man wieder, welche Stimmen moduliert werden sollen (4). Die Geschwindigkeit von LFO 1 und 2 steuert man zudem über das Kreuz im zentralen Display (Pfeil). Im Gegensatz zum zentralen Punkt im Orbiter kann man dieses Kreuz weder über einen MIDI-Controller steuern noch automatisieren. Die Geschwindigkeiten der LFOs automatisiert man hingegen über die Rate-Regler im LFO-Menü. Dort kann man sie per Rechtsklick und Lerndialog auch externen Spielhilfen zuweisen. Eine entsprechende Modulation der LFO-Rates wird durch eine Fahrt des Kreuzes durch das zentrale Display visualisiert.
Die beiden LFOs sind miteinander verbunden: LFO 1 moduliert (im Hintergrund fest verkabelt) die Phase von LFO 2. Über den Regler PhaseMod des LFO 2 kann man diesen Einfluss dosieren. Pro LFO stehen drei Wellenformen zur Verfügung: Linear auf- und abwärts sowie Sinus.
Die LFOs werden über einen Note-On getriggert (Retrigger: MIDI), Free (endlos oder ein Durchgang wie bei einer Hüllkurve im One Shot-Modus) und – sehr speziell – Collision: Im zentralen Display bewegen sich die Stimmen als Pünktchen auf einer vertikalen Bahn. Pro Stimme gibt es zwei Pünktchen: Blaue und grüne Pünktchen zeigen damit die Modulationen der beiden LFOs an. In der Regel bewegen sich die Pünktchen nicht synchron und treffen daher zwischendurch aufeinander. Im Collision-Modus wird bei diesem Aufeinandertreffen der LFO neu gestartet.
Für das folgende Audiodemo habe ich ein Bassdrum-Preset modifiziert. Die LFOs habe ich beide auf Collision gesetzt:
Im MIDI-Modus würde es sich so anhören:
Apropos temposynchron: Die meisten tempo- bzw. zeitbezogenen Parameter ermöglichen neben ganzzahligen Werten wie etwa 1/16tel auch numerische Zwischenwerte, etwa 1/1,17. Die Werteangabe ist gerundet. Hinter den Kulissen ist eine extrem feine Auflösung am Werk, die sozusagen auch eine Triole von einer Triole von einer Triole zulässt (etc.). 1/1,17 ist in Wirklichkeit 1/1,166666666. Auch die scheinbar „krummen“ Werte sind immer noch temposynchron und beziehen sich auf „musikalische“ Bruchteile von Notenwerten.
Dennoch: Will man einfache exakte Notenwerte einstellen, ist Feinmotorik beim Umgang mit dem Mauszeiger gefragt. Bei gehaltener Shift-Taste ist die Auflösung deutlich höher und eine exakte Einstellung leichter. Dennoch vermisse ich die Möglichkeit, über Wertefelder die gewünschten Zahlen einzutippen.
Hat man eine Temposynchronisation einmal eingestellt, die nicht variiert werden soll, empfiehlt es sich, das Kreuz im Voices-Display nicht zu bewegen, da man damit nämlich die LFO-Raten verstellt. Sollte ein solcher kleiner Unfall mal passieren, kann man mittels multiplem Undo/Redo die Sache schnell wieder reparieren.
Die Werteskala der Geschwindigkeit ist bei den LFOs unterschiedlich: LFO 1 erlaubt Werte von 1/64tel bis zu 4 Takten; LFO2 von Null bis 16 Takten.
Der Regler Quantize verwandelt den LFO 1 in einen Step-Modulator. Mit höheren Werten werden die Steps größer, also die Dauer, für die der LFO auf einem Wert stehen bleibt. Höhere Quantize-Werte eignen sich für rhythmische Sounds.
Beim zweiten LFO findet man an der Stelle des Quantize-Reglers Sample and Hold (s. Abbildung oben). Der LFO verwendet Werte der eigenen Schwingung und benutzt diese für ein zeitlich begrenztes statisches Verhalten. Das Zeitfenster dafür kann zwischen 1/32tel und einem Takt eingestellt werden. Im Gegensatz zum Quantize-Regler des LFO 1 eignet sich Sample and Hold für abwechslungsreichere oder zufällige Wechsel der LFO-Frequenz.
Jitter erzeugt für die LFO-Parameter Rate und Phase andere Verlaufsformen. Der Verlauf der Wellenform wird in Echtzeit durch die Pünktchen der Stimmen angezeigt. Ein Jitter mit dem Wert Null ist statisch, 50 ist zufällig, und ein Jitter von 100 beschreibt einen Phasenspread über die Stimmen von 0 bis 100%. Dies bildet dann eine Sinuswelle ab, wenn die LFO Wellenform Sinus ist, eine Rampe, wenn LFO Wellenform Rampe ist. Hier im Falle einer Sinuswelle für den LFO:
Die zufällige Verlaufsform bei 50% führt dazu, dass zwischen den beiden Extremen ungleichmäßige Verlaufsformen liegen, zwischen denen per Jitter überblendet wird. Eine Animation von Jitter produziert also keine Wertesprünge sondern eine fließende Änderung der mit dem LFO verknüpften Parameter.
Gravitation reduziert die Amplitude der LFO-Verlaufsform sukzessive. Erreicht diese die Nulllinie (flat), so startet Gravitation mit der eingestellten Amplitude erneut – vorausgesetzt, der LFO arbeitet im Loop-Modus und nicht im One-Shot-Betrieb.
Die Hüllkurven
Auch bei den ADSR-Hüllkurven hat Sugar Bytes es nicht beim Standard belassen. Zwei Basismodi stehen zur Verfügung und betreffen beide Hüllkurven, die Modulations- und die Lautstärke-Hüllkurve:
Unisono ist der monophone Modus, der überwiegend verwendet wird. Hier werden alle Stimmen durch eine Taste gespielt.
Im polyphonen Modus wird aus Aparillo ein 16-stimmiger Synthesizer der besonderen Art: Jede Stimme hat ihren eigenen Klang – vorausgesetzt die Parameter werden polyphon moduliert.
Beide Hüllkurven verfügen über einen optionalen Attack-Decay-Loop, sodass sie auch als permanent durchlaufende Modulationskurven betrieben werden können, ähnlich wie ein LFO. Allerdings sind die Zeiten nur in Millisekunden und nicht in Notenwerten einstellbar, was die Synchronisation des Loops zum Tempo erschwert.
Attack, Decay und Release können einen linearen, exponentiellen oder logarithmischen Verlauf erhalten. Über einen Slope-Regler kann man das fließend mit allen Zwischenformen, also unterschiedlicher Steilheit der Kurve, einstellen.
Die Effekte
Auf der FX Seite findet man das Multimode-Filter, den Spacializer, einen Panner mit vier Wellenformen, ein Echo und einen algorithmischen Hall. Die Effekte sind in Serie geschaltet. Die Position von Filter und Spacializer kann man über den Doppelpfeil-Taster vertauschen. Anders als bei herkömmlichen Synthesizern kann auch hier wieder jeder Parameter der Effekte für jede Stimme unterschiedliche Werte aufweisen, indem man polyphon moduliert; hier zu sehen beim Filter Cutoff, Pitch Feedback, und Panner Width:
Das Multimodefilter weist diese Charakteristika auf:
Low-, Band- und High-Pass Filter gibt es mit unterschiedlichen Klangeigenschaften zwischen rau, vintage und seidig. Auch ein spitzer Peak-, ein Kamm- und ein Vowel-Filter sind dabei.
Eine Drone mit Kammfilter; LFO 1 moduliert Filtercutoff und Resonanz:
Ohne moduliertes Kammfilter hört es sich so an:
Das Kammfilter verleiht in diesem Fall dem Klang ein detailreiches Obertonspektrum.
Hier wird die Eckfrequenz des Hochpass-Filter (Silk) mittels LFO moduliert (jedoch nur die geraden Obertöne):
Ohne moduliertes Filter:
Die Filter lassen sich neben den internen Modulationsquellen per Rechtsklick und MIDI-Lerndialog auch externen Spielhilfen zuweisen. Dadurch kann man etwa einen internen LFO für die polyphone Modulation des Filtercutoffs der einzelnen Stimmen verwenden und mit dem Modulationsrad die Eckfrequenz global für alle Stimmen steuern:
Die Arbeit mit den Filtern erreicht bei Aparillo durch die polyphone Modulation der 16 Unisono-Stimmen eine neue Dimension. 16 individuelle Filter sind gleichzeitig am Werk. Da es möglich ist, die Filtermodulation auf eine Auswahl der Stimmen zu begrenzen (etwa nur für die geraden oder ungeraden Obertöne), bietet sich weiteres gestalterisches Potenzial.
Insgesamt stellt das Multimodefilter ein mächtiges Werkzeug dar. Es klingt musikalisch und nicht technisch und kann kräftig zupacken.
Der Spacializer ist ein spezieller Effekt, der mit Verzögerungszeiten operiert. Dadurch sind einem Echo oder Hall ähnliche Effekte aber auch Physical Modelling möglich. Die Dimension der Verzögerung kann in drei Stufen (Small, Medium und Large) eingestellt werden. Mit Large erreicht man bis zu einer Sekunde Verzögerung. Dazu gibt es mit Sync einen tempobasierten Modus:
Im Pitch-Modus erreicht der Spacializer die Qualität von Physical-Modelling, da hier die Verzögerungszeit der Tonhöhe entspricht.
Hier produziert der Spacializer im Modus Tone metallisch klingende Anschläge, die an Physical Modelling erinnern:
Die Effekte Echo und Hall habe ich ausgeschaltet. Der Raumeffekt ist alleine dem Spacializer zuzuschreiben.
Hier habe ich eine Bassdrum aus den Werkspresets geladen und der Reihe nach den Mix-Anteil des Spacializers (im Modus Tune und bei maximalem Pitch) hochgefahren, dann das Feedback erhöht und zugleich den Pitch-Regler heruntergefahren. Der Spacializer macht die Bassdrum kantiger, fügt ein Knarzen hinzu und schließlich ein flatterndes Echo mit Abwärts-Tuning:
Nimmt man noch den 4-Pol Lowpass-Filter (Silk) hinzu, lassen sich auch blubbernde Effektklänge auf Basis der Bassdrum realisieren:
Der Panner sorgt für ein bewegtes Panorama und verteilt die 16 Stimmen im Stereofeld. Dazu stehen vier feste Wellenformen bereit (Sinus, Sinus plus Sample & Hold, stufiger Zufallsgenerator mit Panoramasprüngen, kontinuierlicher Zufallsgenerator mit fließenden Bewegungen), die nicht über die internen Modulatoren verändert werden können. Die Geschwindigkeit des Pannings ist (sinnvollerweise) für alle Stimmen gleich, die Position im Panorama hingegen verschieden.
Auch das einfache, temposynchrone Echo und der algorithmische Hall sind nicht dem internen Modulationssystem zugewiesen. Gleichwohl können die Fader via MIDI-Lerndialog über externe Spielhilfen gesteuert werden. Außerdem sind Echo und Hall im Orbiter vertreten, können auch dort konfiguriert und in die Klangfahrten einbezogen werden.
Während man beim Echo mit Leichtigkeit exakte Notenwerte anfahren kann (etwa 1/4tel, oder 1/16tel Triole), reicht die Auflösung beim Panner bis auf die zweite Dezimalstelle. Es kann also etwa mit ½.03 ein Durchgang eingestellt werden, der minimal länger als eine halbe Note ist. Um feinmotorisch nicht überfordert zu werden, wenn man exakt ½ einstellen will, hält man die Shift-Taste gedrückt und erreicht dann bequem das gewünschte Ergebnis.
Der Arpeggiator
Auf den Arpeggiator sind wir bereits zu Beginn des Tests eingegangen. Damit Sie nicht scrollen müssen, wiederhole ich hier einzelne Details.
Der Arpeggiator fährt die einzelnen Stimmen der Reihe nach ab und spielt sie mit individuellem Decay ab. Dabei wird anders als bei herkömmlichen Arpeggiatoren nicht der vorhandene Klang als Arpeggio abgespielt, sondern eine zweite Klangebene generiert.
Diese mischt man zum Originalklang mit dem Arp-Regler (1). Im Linksanschlag hört man nur den Originalklang ohne Arpeggio, im Rechtsanschlag nur den Arpeggiator.
Ob beide Operatoren in einem Mischungsverhältnis oder nur einer der Operatoren über den Arpeggiator laufen, stellt man mit OP Balance ein (2).
Das Arpeggio kann über Thresholds (3) für LFO1 oder LFO 2 getriggert werden. Das wählt man über den Umschalter Arp Trigger in Threshold blau oder grün aus (4). Die Linie des Thresholds erscheint zart gepunktet (Pfeil; nicht zu verwechseln mit der Pünktchen-Linie direkt darunter, welche die Parameterpositionen des LFOs anzeigt).
Weitere Trigger Modi sind Collision (Aufeinandertreffen der Wertepunkte von LFO 1 und 2 im zentralen LFO-Display) und Clock (Synchronisation mit dem Host-Sequencer). In den Modi Collision und Clock wird aus dem Regler Threshold der Regler Ratio und bestimmt damit, wann genau (Anzahl der Kollisionen von der ersten bis zur sechzehnten) oder wie schnell (Notenwert) das Arpeggio gestartet bzw. durchlaufen werden soll. Rate ist bipolar und erlaubt einen Vorwärts- und Rückwärts-Abspielmodus des Arpeggiators.
Bei diesem Audiodemo habe ich ein modifiziertes Preset aus der Kategorie Seq. verwendet und zunächst vom Originalsound in das Arpeggio überblendet. Anschließend habe ich den Decay-Regler zum Minimalwert (1 ms) und wieder zurück in die Mittelposition bewegt:
Bei einem hohen Wert für Decay klingen die einzelnen Stimmen langsam ab, und es kommt zu einer polyphonen Überlagerung der Stimmen. Die Lautstärke der Stimmen wird durch einen helleren Balken im Arpeggiator-Display angezeigt:
Bei einem Decay von wenigen Millisekunden blinkt ein Balken nur kurz auf.
Das Orbit
Das Orbit haben wir bereits zu Anfang des Tests kurz kennengelernt. Es eignet sich für intuitive Klangfahrten und macht Aparillo auch für Musiker interessant, die sich nicht mit der Architektur auseinandersetzen wollen.
Gleichwohl kann man im Orbit auch den Klang editieren. Auch den Arpeggiator findet man hier wieder:
Im Orbit verteilt sind:
- Operator 1 und Operator 2 Ratio
- Operator 1 und Operator 2 FM Stärke
- Operator 1 und Operator 2 Balance
- Formant
- Brightness
- Jitter
- Shift
- Arp Mix, Rate/Threshold, OP Balance, Decay
- Filter Cutoff
- Filter Resonanz
- Filter Modulationsstärke
- Spacializer Feedback
- Spacializer Mix
- Reverb Mix
- Delay Mix
Diesen Parameterobjekten kann man einen Radius zuweisen, ebenso dem Orbiter-Objekt, das man im XY-Feld bewegt und damit ständig neue Parameterverknüpfungen herstellt. Die Klangfahrt wird also definiert durch
- die Platzierung der Parameterobjekte im Orbit und deren Konfiguration (editierbar per Rechtsklick),
- den Radius der Parameterobjekte,
- den Radius des Orbiter Objekts und
- die Entfernung zwischen den jeweiligen Parameterobjekten und dem Orbiter-Objekt
Je näher das Orbiter-Objekt an einem Parameterobjekt ist, desto größer dessen Einfluss.
Man kann übrigens nicht nur dem Orbiter-Objekt per Rechtsklick MIDI-Spielhilfen zuweisen, sondern auch den Parametern der einzelnen Objekte:
Um interessante Klänge zu schöpfen, muss man die komplexen Hintergrunde nicht unbedingt verstehen. Hier hören Sie eine Fahrt mit dem Orbiter Objekt einmal im Kreis herum und über alle Parameterobjekte hinweg:
Durch Klicken und Ziehen im leeren Raum des Orbits lassen sich die Parameterobjekte gehörig durcheinanderwirbeln. Danach sieht es dann beispielsweise so aus …
… und hört sich gleich ganz anders an:
Auch ist es möglich, jeder Taste auf der Klaviatur eine andere Position des Orbiter-Objekts zuzuweisen. Dazu schaltet man den MIDI-Aufnahmemodus ein und aktiviert zusätzlich den Record-Taster:
Eigene Orbits basteln, Weiterführenes
Um eigene Orbits zu erstellen, führt man entsprechende Initialisierungen aus oder lässt sich eine Zufallskonfiguration als Ausgangsbasis würfeln:
Bei einigen Presets passiert erst einmal nichts, wenn man das Orbiter-Objekt bewegt. Das liegt daran, dass in diesem Fällen alle Parameter im Orbit in Neutralposition stehen: Damit ein Parameter vom Orbiter-Objekt moduliert wird, muss dieses nicht nur innerhalb seines Wirkungsradius sein, sondern auch einen Amount von weniger oder mehr als Null haben (bipolar).
Der Levelregler definiert die globale Lautstärke an dieser Position, der Pan-Regler das globale Panorama. Level und Pan haben also nichts mit dem Parameter selbst zu tun, helfen aber, Lautstärkeunterschiede durch Parametermodulationen auszugleichen und interessante Fahrten durch das Stereofeld zu ermöglichen.
Wenn man das Orbiter-Objekt bewegt, erscheint an seiner Ausgangsposition eine Art Schattenbild:
Dieses dient dazu, bei der Aufzeichnung einer Fahrt durch das Orbit zum Ausgangspunkt zurück zu finden, um eine nahtlose Klanganimation beim späteren Endlos-Abspielen der Orbiterbewegung zu erzielen.
Lädt man Werksklänge als Ausgangspunkt für eigene Entwicklungen, sollte man immer zuerst nachschauen, ob das Orbit in Betrieb ist. Hier ist das der Fall:
Hier nicht:
Nach „Randomize Objects“ und „Randomize Amounts“ habe ich eine Fahrt durch das Orbit aufgezeichnet, um den Klang zu modulieren. Die Aufnahme einer Bewegung durch das Orbit kann auf bis zu 32 Takte Länge gestellt werden. Ein zunehmender Kreis rund um den Record-Knopf zeigt den zeitlichen Verlauf der Aufnahme an, sodass man bequem am Ende das Orbiter-Objekt wieder zurück zum Ausgangspunkt bewegen kann.
Hat man sich beim Editieren mal verklickt, hilft ein multiples Redo/Undo.
Eigene Klänge kann man in einem User-Ordner abspeichern, der praktischerweise ohne Navigation quer durch die Rechnerhierarchie beim nächsten Start wieder angezeigt wird.
NKS
Kurz vor der Veröffentlichung erreichte uns noch die Nachricht, dass Aparillo in Kürze auch über NKS verfügen wird (sodass dann die Parameter für NI Controllerkeyboards fertig gemappt sind und ohne weitere Zuweisung oder MIDI-Lerndialog direkt über deren Spielhilfen gesteuert werden können).
Fazit
Sugar Bytes hat mit Aparillo erneut einen eigenständigen Klangerzeuger zustande gebracht, der seinesgleichen sucht. Der Name ist pures Understatement: Aparillo ist kein verwurstelter Soundapparat, sondern ein genialer FM-Synthesizer – der mit herkömmlichen FM-Synthesizern wenig gemeinsam hat.
Klanglandschaften, ausladende Klangfahrten und -metamorphosen gelingen im Orbit auch ohne profunde Kenntnisse der extravaganten Architektur. Spielevertoner und Filmmusikschaffende werden ihre wahre Freude an diesem virtuellen Synthesizer haben und können praktisch endlos aus dem Vollen schöpfen und immer wieder neue Klänge herbeizaubern.
Was Aparillo drauf hat, zeigen auch die rund 500 Presets, die man als Ausgangsbasis für eigene Erkundungen verwenden kann. Dort trifft man auch auf Lead-Synthies, Drums und Percussion, die teilweise virtuell-analogen Synthesizern nahe kommen.
Wer zielgerichtet eigene Klänge entwerfen will, kommt um eine Einarbeitungsphase und um die Lektüre der Bedienungsanleitung nicht herum. Dennoch ist die Lernhürde nicht allzu hoch, denn das englischsprachige Manual klärt alles bis ins Detail und gut verständlich auf.
Man hat es hier mit einem mächtigen Klanglabor zu tun. Das Konzept des 16-stimmigen Unisonos, bei dem jede Stimme in vielen Parametern individuell moduliert werden kann, ist einzigartig und produziert entsprechend neue, frische Klänge, die so mit keinem anderen Klangerzeuger möglich sind. Dazu tragen auch der Dual-LFO und der damit verknüpfte Arpeggiator bei, der eine zweite Klangebene generiert. Auch die polyphon, d.h. für jede der 16 Stimmen individuell modulierbaren Effekte Multimodefilter und Spacializer eignen sich für ein ganz spezielles Klangdesign.
Viele Werksklänge setzen auf einen breiten, ausladenden, cineastischen Sound. Entsprechend wird hier reger Gebrauch vom Spatializer, Echo und Hall gemacht. Letzterer klingt übrigens ausgesprochen gut. Doch Aparillo kann auch ohne diese Effekte richtig knallig und sehr direkt klingen. Das sollten Musiker, die abseits der spektakulären Klangorgien für die Spielevertonung und das Kino unterwegs sind, unbedingt ausprobieren. Dass man mit Aparillo auch ganz alleine ein Album bestreiten kann, zeigt das Projekt des französischen Sound-Designers DavidF, der auch einige der Presets beigesteuert hat.
Die Audioqualität ist auf der Höhe der Zeit, und das bei einer ausgesprochen geringen Einforderung an Rechenleistung. Das erlebt man bei solch ausgefallenen Klangerzeugern selten. So macht es auch Sinn, dass auf dem Mac ältere Betriebssysteme unterstützt werden. Aparillo kann ohne weiteres live bei niedriger Latenz eingesetzt werden. Es gibt auch eine Standalone-Version.
Der Preis ist kundenfreundlich. Ein Antesten der Demo-Version kann ich nur empfehlen. Auf der Herstellerseite (Link ganz unten) finden Sie unter anderem auch Tutorial-Videos.
Testautor: Holger Obst
Plus
- eigenständiges Konzept
- außergewöhnliche Klangfahrten
- inspirierendes Klanglabor
- exzellente Audioqualität
- intuitiver Zugang über das Orbit
- kundenfreundlicher Preis
- NKS implementiert
- Unterstützung älterer Betriebssysteme (Mac)
Minus
- Parametereingabe über (numerische) Wertefelder fehlt
Preis: 99.- EUR
System
- Win PC ab Win 7
- Mac ab OSX 10.6.7
- Formate: AU, AAX, VST2, Standalone
- 32 und 64 Bit
Hersteller: Sugar Bytes
Die Screenshots wurden teilweise mit TechSmith Snagit bearbeitet.