Test: Noveltech Vocal Enhancer
Die Bearbeitung des Gesangs gehört zu den aufwändigsten und schwierigsten Aufgaben bei der Abmischung. Der Vocal Enhancer verspricht, diese Aufgabe schnell und mit bislang unerreichter Qualität in den Griff zu bekommen – dank einer von Noveltech eigens hierfür entwickelten neuen Technologie.
Überblick
Was unternimmt man nicht alles, um der menschlichen Stimme die möglichst beste Präsentation zu verleihen? Nach der akustisch optimierten Aufnahmeumgebung und am besten gleich mehreren teuren Mikrofonen für verschiedene Stimmakteure sowie einem edlen Vorverstärker folgt eine Batterie an Tools wie Deesser, Equalizer, Exciter, Kompressor, Doppler, Echo, Hall.
Der Noveltech Vocal Enhancer kann nun nicht alle diese schönen Dinge ersetzen, tritt aber mit dem Versprechen an, auch weniger teure Mikrofone gut klingen zu lassen und ein dynamisches, offenes, natürliches und unverfälschtes Klangbild hervorzuzaubern, welches mit traditionellen Tools so bislang nicht erzielt werden kann. Dabei handelt es sich zudem um ein bezahlbares Plug-In, nicht um eine weitere Hardware, die ein tiefes Loch ins Budget frisst.
Installation
Nach dem Kauf und dem Eröffnen eines Benutzerkontos bei Plugin-Alliance lädt man den Neuzugang innerhalb weniger Sekunden herunter – rund 16 MB Datenvolumen sind kaum der Rede wert. Beim ersten Start im Sequenzer meldet sich gleich die automatische Aktivierung: Das Plug-In kann entweder rechnergebunden oder auch über einen USB-Dongle autorisiert werden. Letztere Variante bietet sich an, wenn man es auf unterschiedlichen Rechnern im Wechsel betreiben will. Eine Offline-Installation ist ebenfalls möglich. Der gesamte Installationsprozess lief auf unserem System (Windows 7, Cubase 7) reibungslos und war in wenigen Minuten erledigt.
Der Noveltech Vocal Enhancer läuft plattformübergreifend in den Formaten VST, AU, AAX, AAX DSP und RTAS in 32 und 64 Bit.
Der technische Hintergrund
Während ein Equalizer statisch bestimmte Teilspektren hervorhebt (oder absenkt) und ein Exciter dem Gesang ein Obertonspektrum hinzufügt – mit den Nebenwirkungen, schnell hart oder unnatürlich rau zu klingen (vom Rauschen ganz zu schweigen) – nutzt der Vocal Enhancer einen neuen Zugang zu dem Thema: Das Zauberwort heißt IAF und steht für „Intelligent Adaptive Filterung“.
„Intelligent“ nennt sich diese Filter-Technologie, weil sie permanent das Eingangssignal analysiert und dessen spektrale Veränderung sowie seine Dynamik berücksichtigt. Dabei wird insbesondere das zeitliche Zusammenspiel vom Einschwingen und Ausklingen (Attack und Decay) des Signals in einem nicht-linearen Prozess untersucht. Letztendlich soll der Algorithmus sich der speziellen klanglichen Darbietung des Originals anpassen. Nach psychoakustischen Vorgaben, also unter Berücksichtigung der menschlichen akustischen Wahrnehmung, werden nun charakteristische Anteile der Stimme hervorgehoben und deren Präsenz im Mix verdeutlicht und verstärkt.
Ausgereifte Exciter können zwar auch eine Gesangsstimme in den Vordergrund stellen und brillieren lassen, haben aber neben den oben bereits erwähnten Nachteilen auch die Eigenschaft, dass man sie gerne überdosiert – hervorgerufen durch eine rasch eintretende Ermüdung gegenüber den angehobenen Obertönen. Hört man sich den Mix einen Tag später noch einmal an, wirkt der Gesang völlig überzeichnet, in den Höhen überfrachtet und dadurch seiner Substanz beraubt. Der Noveltech Vocal Enhancer soll durch seine permanente dynamische Anpassung genau diesen Übermüdungseffekt und die Folgen vermeiden. Soweit die Theorie.
Ergänzend sei erwähnt, dass Noveltech das Intelligent Adaptive Filtering bereits beim Character-Plug-In eingesetzt hat, welches ebenfalls dazu dient, verschiedenen Eingangssignalen vom Bass über Percussion bis zum Gesang Frische und Transparenz zu verleihen. Im Gegensatz zum auf wenige Parameter beschränkten Character bietet der Vocal Enhancer jedoch mehr Einstellmöglichkeiten, wie wir gleich sehen werden.
Das Bedienfeld
Vocal Enhancer kommt mit einem Fenster aus. Zentral wird in Echtzeit das Originalspektrum (gelbe Kurve) und die Wirkung des Effekts (blaue Kurve) dargestellt. Bei den kleinen weißen Dreiecken, per default am unteren Rand auf der Höhe der dünnen weißen Linien, handelt es sich um Anfasser, mit denen der spektrale Bereich, welcher bearbeitet werden soll, im unteren und oberen Bereich eingegrenzt wird. Schiebt man die weißen Anfasser der Linie entlang nach oben, so erhöht man die Filterresonanz, was zu einem etwas angerauten, „crispen“ Sound führt. Die Flankensteilheit der Filter lässt sich zwischen 12 und 24 dB umschalten.
Die Operationen innerhalb des Analyser-Displays stehen in Wechselwirkung mit der Procession-Einheit auf der linken Seite:
Im Standard-Modus arbeitet der Vocal Enhancer eher subtil und klingt deutlich weicher als im Strong-Processing-Modus, der die Stimme erheblich heller und durchsetzungsfähiger klingen lässt. Mittels Focus verschiebt man den Schwerpunkt der Bearbeitung innerhalb des eingegrenzten Spektrums. In der Linksstellung betont man die Körperlichkeit der Stimme (den tieferen Spektralbereich), in der Rechtsstellung deren Strahlkraft. Enhancement bestimmt schließlich, wie kräftig der Algorithmus eingreifen soll. Die Wirkung wird im rechts daneben befindlichen vertikalen Enhancement-Meter in Echtzeit dokumentiert.
Sehr nützlich ist der Lautstärkeausgleich zwischen eingehendem und bearbeiteten Signal. Die Gain- Compensation schaltet man ganz recht unterhalb des Gain-Reduction-Meters ein, welches die Stärke der Kompensation abbildet.
Direkt links daneben können der Ein- und Ausgangspegel verfolgt und über die kleinen weißen Dreiecke angepasst werden. Der Process-Button unterhalb dieser Meter ist ein alternativer Bypass-Schalter. Schließlich sollte es laut Manual noch einen kleinen Preset Browser neben den beiden Vergleichsvarianten A und B geben …
… im VST-Format unter Cubase 7 war dieser jedoch nicht aufzufinden; statt dessen wurden sechs Presets über den Cubase-VST-Browser in der Kopfzeile des Plug-Ins angezeigt. Das sollte nicht weiter stören, denn Presets wird man kaum benötigen: Die Einstellung sind leicht vorzunehmen und können in Echtzeit ohne Audioaussetzer oder andere Artefakte mitgehört werden.
Die Gesangsbearbeitung
Der Noveltech Vocal Enhancer arbeitet in einem Frequenzbereich von 1 kHz. bis zu 20 kHz. Das eröffnet die Phantasie, dieses Werkzeug auch für andere Instrumente einzusetzen – doch dazu später. Schauen und hören wir uns zunächst an, wie er sich in seinem zentralen Aufgabenfeld bewährt.
Hier zunächst ein unbearbeitetes Audiodemo. Der Take wurde von Sigrid Haverkamp, Vocalcenter Bonn eingesungen und liegt in der Rohfassung vor. Zunächst die Version ohne Bearbeitung:
Nun mit dem Vocal Enhancer im Standardmodus und folgenden Einstellungen:
Und hier im Strong-Procession-Modus, zusätzlich mit erhöhten Filterresonanzen:
Der Gesang tritt deutlich hervor und gewinnt durch die Filterresonanzen an Schärfe und Biss. Das ist schon fast etwas zuviel des Guten, lässt sich aber leicht korrigieren, indem man die Resonanzen wieder etwas zurückfährt. Da der Noveltech Vocal Enhancer nicht alles alleine erledigen kann, was zu einer Gesangsbearbeitung gehört, platziere ich in der Effektkette hinter ihm noch einen Kompressor. Nun hört sich der Take so an:
Zum Vergleich habe ich als nächstes eine (allgemein gelobte und professionelle) Simulation des legendären Aphex Aural Exciter geladen – mit folgendem Ergebnis:
Obwohl der Exciter ebenfalls hörbar seine Arbeit verrichtet – und das nicht schlecht – kommt er doch bei Weitem nicht an die Lebendigkeit und Dynamik des Noveltech Vocal Enhancers heran. Der Aphex wirkt vergleichsweise flach und statisch, mischt lediglich das Obertonspektrum eher pauschal auf, während der Vocal Enhancer mit der Stimme regelrecht mitgeht und deren Tranbsienten und Modulation, also die künstlerische Ausdruckkraft in ihrer Gesamtheit, hervorhebt.
Nebenbei kann man den Vocal Enhancer aber auch für Stimmverfremdungen einsetzen. Um eine Art Telefonsound zu erzeugen setzt man einen schmalen Frequenzbereich für den Eingriff, wählt hohe Resonanzwerte der beiden Filter und bewegt sich auch beim Regler Enhancement in Richtung Maximum:
Als nächstes möchte ich wissen, wie der Vocal Enhancer mit männlichen Stimmen zurechtkommt. Hier zunächst das unbearbeitete Original (Ausschnitt). Der Beat stammt aus Steinberg´s neuem Groove Agent 4, die Stimme stammt von Zero G Vocal Forge (diese Library gibt es inzwischen als Bundel zusammen mit Vocal Foundry und Vocal India bei Bestservice).
Der Gesang mit seinem monotonen Stimmverlauf ist nicht meine Sache. Daher habe ich ihn mit Melodyne etwas verfremdet und die Modulation der Stimme verändert. Ein paar überzogene Glitches passen zum Experiment. Den Beat habe ich mit Native Instruments Molekular leicht moduliert. Das Ganze klingt nun, immer noch ohne den Noveltech Vocal Enhancer so:
Nun mit dem Vocal Enhancer mit folgenden Einstellungen:
Der Vocal Enhancer macht die Stimme deutlich heller und bringt sie nach vorne. Allerdings stellt sich heraus, dass es der Originalstimme in den unteren Mitten etwas an Fundament mangelt. Daher habe ich die Focus-Frequenz nach links Richtung Lo gedreht. Hier noch einmal dieselbe Vocal-Enhancer-Einstellung, diesmal jedoch mit dem nachgeschalteten Waves R-Vox Kompressor und Gate:
Im nächsten Schritt habe ich die Stimme stark verfremdet. Mit Flux/Ircam Tools TRAX habe ich aus den männlichen in einen weiblichen Charakter verwandelt. Die virtuelle Sängerin soll energisch und ein bisschen böse klingen soll. Hier zunächst die Version ohne den Noveltech Enhancer.
Die Stimme ist sowieso schon etwas scharf, auch weil ich zusätzliche Rauheit mit TRAX hinzugefügt habe. Daher benutze ich dieses mal das weniger starke Standard-Processing:
Hier die fertige Gesangsbearbeitung mit Noveltech Enhancer, nachgeschaltetem Doppler und Hall:
Einsatzmöglichkeiten jenseits der Gesangsbearbeitung
Der Vocal Enhancer kann neben seinem zentralen Aufgabenbereich auch für andere Zwecke verwendet werden. In den beiden folgenden Audiodemos hören Sie zunächst eine unbearbeitete, dann eine bearbeitete Version einer akustischen Gitarre (aus Guitar-Library für den Ueberschall Elastik Player). Die Originalaufnahme liefert bereits ein ausgewogenes Klangbild …
… mit dem Vocal Enhancer lässt sich das Obertonspektrum jedoch noch deutlich auffrischen. Die Gitarre strahlt dadurch regelrecht und klingt näher. Sie wird sich in einem Mix besser durchsetzen können:
Nun ein Saxophon nach demselben Konzept (drei kurze Phrasen aus dem Ueberschall-Repertoire, dieses Mal aus der Library Saxophone). Das zweite Riff ist eine um eine Oktave nach unten transponierte Version des ersten. Das Original:
Da das um eine Oktave nach unten transponierte zweite Riff Klangverfärbungen aufweist (es klingt etwas verwaschen oder wie durch einen Vorhang hindurch aufgenommen), habe ich die Regler Focus Frequency und Enhancement im Playback des Sequencers bewegt und diese Bewegung als Automation aufgezeichnet. Den Focus habe ich beim transponierten Riff in die höheren Lagen verschoben und das Enhancement von 40 auf 90 Prozent erhöht.
Das transponierte Riff klingt nun ausgesprochen kernig, angenehm rau und intim.
Zum Abschluß noch etwas Percussives: Eine kleine Passage, die ich mit den Pan Drums von Soniccouture eingespielt habe. Die Samples geben eine mit Fingerkuppen gespielte Artikulation wieder, klingen also entsprechend weich. Hier das Original:
Soweit, so gut. In einem vollen Arrangement geht dieses zart klingende Instrumente leider schnell unter. Der Noveltech Vocal Enhancer hilft, die Transienten hervorzuheben und die Pan Drums ein gutes Stück weiter nach vorne zu bringen, ohne dass sie ihren Charakter einbüßen:
Bugs und CPU-Anforderung
Während meines Tests gab es auf unserem Betriebssystem keinerlei technische Probleme mit dem Vocal Enhancer. Der Transfer von der Powercore-Plattform, für die das Plug-In ursprünglich entwickelt wurde, zur nativen Betriebsweise ist geglückt. Auch ist die CPU-Last erfreulich niedrig. Auf meinem Testsystem, einem Windows 7 – Rechner Intel Core i7 3930 mit 3,2 GHz-Prozessoren, Cubase 7, Motu Firewire 828 MkII, beanspruchte der Noveltech Enhancer bei 128 Samples Puffergröße und einer Gesamtlatenz unterhalb von 10 ms nicht mehr als zwei Prozent Rechenleistung eines Kerns.
Fazit
Der Noveltech Vocal Enhancer ist ein sehr effektives Werkzeug, wenn es darum geht, weiblichen oder männlichen Gesang transparenter, brillanter, intimer zu gestalten und ihn in einem Mix nach vorne zu holen.
Was sonst nur über eine aufwändig zu programmierende Kette einzelner Plug-Ins (Equalizer, dynamischer Equalizer, Transienten-Werkzeug, Exciter) realisierbar wäre, erledigt man mit dem Vocal Enhancer mir wenigen Bearbeitungsschritten und erzielt dabei ein Ergebnis, an dem sich selbst ausgefeilte Effektketten messen lassen müssen. Die Art und Weise, wie er die persönliche Note des Gesangs hervorhebt und jede Modulation mühelos und artefaktfrei begleitet, ist einzigartig. Es macht sich deutlich bemerkbar, dass das Intelligent Adaptive Filtering den dynamischen Verlauf von den Transienten bis zur Sustainphase musikalisch sinnvoll analysiert. Im Gegensatz zur Verwendung von Excitern erzeugt der Vocal Enhancer kein auf Dauer ermüdendes Signal, sodass man weniger Gefahr läuft, den Effekt Schritt für Schritt und im Ergebnis übermäßig zu strapazieren.
Der Noveltech Vocal Enhancer lässt sich in Windeseile einstellen und liefert beinahe aus dem Stand hervorragende Ergebnisse. Die Stärke des Effektes kann dabei wunderbar dosiert werden – von dezent und weich bis zu hart und crisp.
Insgesamt erfüllt das Plug-In nicht nur die Ansprüche, die vom Hersteller proklamiert werden, sondern geht noch darüber hinaus: Der Vocal Enhancer wertet vielerlei Eingangssignale deutlich auf: Ein eher schlappes dynamische Mikrofon klingt plötzlich wie ein teures Kondensatormikrofon; klanglich müde und etwas angestaubten Instrumentaltracks werden spürbar belebt; mit Pitch-Time-Werkzeugen transformierte Tracks klingen wieder frisch und transparent. Bei der Bearbeitung von Percussion greift eine vorbildliche Analyse der Transienten.
Sehr erfreulich ist auch die ausgesprochen niedrige CPU-Last, insbesondere im Hinblick auf Live-Anwendungen.
Der Preis ist angemessen.
Holger Obst
Plus
- exzellente Audio-Qualität
- innovatives Konzept
- einzigartig effektives Werkzeug auf Referenzklasseniveau
- sehr einfache Bedienung
- geringe CPU-Last
- vielseitige Anwendungsmöglichkeiten über Gesangsbearbeitungen hinaus
- läuft auch auf älteren Betriebssystemen
Minus
–
Systemvoraussetzungen
- Mac ab OSX 10.6
- Win ab XP
- Formate: VST, AU, AAX, AAX DSP (32 und 64 Bit), RTAS
Preis
- 199 US$ (regulär)
Hersteller
Vertrieb