Test: D16 Group Decimort 2
|Lo-Fi Plug-ins gibt es wie Sand am Meer. Doch wer glaubt, dass Sounddestrukteure, die sich auf reduzierte Sampleraten und Bittiefen fokussieren, alle mehr oder weniger gleich klingen würden, liegt falsch. Hat Decimort die besonderen Extras, die andere nicht haben?
Dass es so sein könnte, war unsere Vermutung nach dem Test der PunchBox aus dem selben Hause. Denn dort ist ein Bitcrusher verbaut, der es in sich hat. Sein rauer, körniger und zugleich griffiger Klang war eine positive Überraschung. Und bei dem Bitcrusher der Punchbox handelt es sich um eine abgespeckte Version des Vorgängers unseres Testkandidaten, denn Decimort ist inzwischen in der zweiten Generation angekommen.
Bei Decimort 2 geht es nicht nur darum, einfach die Bittiefe und Samplerate zu reduzieren, es sollen vielmehr die Klangfarben früher Sampler nachgebildet, der Klang aus den Kindertagen digitaler Audiogerätschaften wiederbelebt werden.
Decimort 2 simuliert die komplexen, miteinander in Wechselwirkung stehenden Funktionen einer AD/DA-Wandlung und unter andrem das echte Aliasing klassischer Sampler ohne Zugabe eigener Artefakte.
Kurz zur Begriffsklärung: Das Anti-Aliasing Filter ist ein Algorithmus, der Aliasing in Zeiten begrenzter Rechenleistung beseitigen oder vermindern sollte, ähnlich der Image Prozessor oder Image Filter, der dem selben Zweck diente. (Aliasing entsteht beim Digitalisieren analoger Signale mit zu niedrigen Abtastraten und führt, vereinfacht dargestellt, zu Frequenzverschiebungen, Klangverfärbungen, Phasenauslöschungen und einer gestörten Stereo-Balance im hohen Frequenzbereich.)
Jitter bezeichnet Ungenauigkeiten bzw. ein ungenaues Takten bei der Übertragung / Wandlung analoger in digitale Signale.
Zusammenfassung
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Auf den Punkt gebracht
Decimort 2 ist weit mehr als ein Bitcrusher und Samplefrequenz-Tool: Hier wird eine komplette AD/DA-Wandlung Bauteil für Bauteil nachgebildet, mit einigen Extras wie etwa Jitter, Dithering und Approximate Filter.
Decimort 2 kann sowohl den Sound früher Sampler nachahmen und für ein authentisches Retro-Klangdesign verwendet werden als auch als drastischer Verzerrer und Klangzerstörer eingesetzt werden.
Benutzer-Bewertung
( Stimmen)
Rückblick
In der Tat hatten die frühen Sampler, die zunächst noch mit acht, später mit 12 Bit auskommen mussten, einen eigenen rauen, etwas körnigen Klang. Der Ensoniq Mirage mit 8 Bit Auflösung und einem Speicher von mikroskopischen 128 Kb brutzelte förmlich und rauschte dazu gewaltig. Selbst die analogen Filter konnten angesichts der miserablen Samplequalität keine Wunder bewirken. Der einzige brauchbare Klang aus dieser Kiste waren Streicher, die, zwei Oktaven nach unten transponiert, etwas ungemein Bedrohliches, Monströses verkörperten.
Laut Hersteller eignet sich Decimort 2 unter anderem auch dazu, den eigenständigen Klang der frühen EMU-Rompler zu simulieren. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich zu Zeiten der EMU-Proteus-Serie, die 1989 mit dem Proteus 1 und sagenhaften 16 Bit-Samples startete, erst ganz begeistert von der Vielzahl von Sample-Instrumenten in einem bezahlbaren (!) Gerät war. Nach einigen Monaten ist diese Begeisterung jedoch einer regelrechten Verzweiflung gewichen: Egal welches Instrument man nahm, ob Geige oder Bläser, alle Sounds waren durch und durch von einer einheitlichen, digitalen Klangfarbe geprägt, die mit keinem Mittel beseitigt werden konnte. Auch die hochgelobten Filter der EMU-Geräte konnten diesen speziellen Klangschleier nicht unhörbar machen, und wenn man erst darauf sensibilisiert war, ging gar nichts mehr. Das führte bei mir dazu, dass ich mich in einer Phase der Frustration von sämtlichen Samplern trennte und eine Weile brauchte, um wieder zum Komponieren mit digitalem Equipment zurück zu finden.
Heute sieht die Welt ganz anders aus, man badet regelrecht in hochauflösenden Klängen, und manchmal sind die Sounds beinahe zu perfekt, strahlend und von geradezu spektakulärer Klangqualität. Nicht erst seit gestern fehlt es manchmal an der Würze der Unperfektion, und der Griff zu Lo-Fi-Spezialisten ist ein erprobtes Mittel, diesem Mangel entgegen zu wirken.
Installation
Nach dem Erwerb erhält man eine Seriennummer, unter der man das Plug-in im persönlichen Account auf der Herstellerseite registriert. Anschließend erscheint dort der Download sowie ein Activation- bzw. Lizenzfile. Beim ersten Start navigiert man zu diesem Lizenzschlüssel und schaltet das Plug-in frei.
Decimort 2 läuft auf dem PC ab Windows 7, auf dem Mac ab OSX 10.7 und liegt in den Formaten AU, VST und AAX vor (in 32 und 64 Bit).
Leistungsumfang und Anwendungsbeispiele
Decimort 2 tritt nicht nur an, die Bittiefe und Samplerate zu reduzieren. Anti-Aliasing-Filter, Image Filter, justierbares Jittering und Dithering sowie zwei alternative Quantisierungs-Algorithmen erlauben es, eine ganze Reihe von Pionieren der digitalen Ära nachzubilden – mit all ihren Unzulänglichkeiten und ihren Bemühungen, diese zu beheben. Der komplexen Schaltung ist zudem ein Preamp vorangestellt. Ob es sich hier um eine Emulation oder einfach um einen Regler für den Eingangspegel handelt, bleibt offen, jedenfalls trägt die Härte, mit der der Decimator angefahren wird, maßgeblich zur Stärke des Verzerrungseffektes bei.
Das Approxomate Filter ist mit dem Regler Frequency Deviation gekoppelt: Eine Kombination dieses Low-Pass-Filters mit der Resampling-Frequenz beseitigt alle harmonischen Obertöne oberhalb der eingestellten Frequenz, sodass im hochfrequenten Bereich kein Aliasing mehr auftreten kann. Das Ergebnis ist ein entsprechend dumpfer Klang, je nach Einstellung des Frequenz-Reglers. Im folgenden Audiodemo habe ich Decimort 2 mit dieser Einstellung …
… ab Takt 5 eingeschaltet (Loop aus Styus RMX):
Hier habe ich zudem Jitter eingesetzt moduliert: Jitter produziert eine Verzerrung und Körnung des Signals indem es zufällige, schnelle Fluktuationen der Resampling-Frequenz simuliert.
Des Weiteren gibt es zwei Quantisierungsmethoden mit kontrollierbarem Dithering (welches eigentlich dazu dient, Quantisierungsfehler auszugleichen).
Diese Einstellung …
… produziert einen Klang, der eine defekte Schaltung suggeriert:
Es sind also auch extreme Destruktionen möglich, und 2 Bit Auflösung kann natürlich keine Ergebnisse produzieren, die audiophil veranlagten Menschen gefallen. Wenn der Hersteller jedoch von der Paradoxie spricht, Lo-Fi in bester Qualität zu liefern, so wird dies spätestens bei solch extremen Verfremdungen deutlich: So scharf und konturenreich habe ich noch keinen Lo-Fi-Effekt erlebt.
Mal sehen, oh ich meinen alten Ensoniq Mirage wieder herbeizaubern kann. Hier eine Passage, eingespielt mit dem Native Instruments Symfony Series String Ensemble:
Und nun der Versuch, den Ensoniq wieder auferstehen zu lassen:
Es klingt schön nach altem Sampler, nur die aufwändigen Mutisamples der NI Symphony-Library entsprechen natürlich nicht den transponierten Streichern des Ensoniq, die vermutlich auf einem Mini-Sample von vielleicht 30 kB aufbauten. Diese Einstellungen habe ich verwendet:
Als Nächstes habe ich einen kurzen C3-Ton der Streicher exportiert und damit Retro-Streicher gebastelt, also das Sample in Kontakt geladen, es über die gesamte Tastatur transponiert und Time-Machine Pro ausgeschaltet. Nun kommt die Sache dem Ensoniq schon näher:
Man kann aber noch ganz andere Sachen machen, nämlich wunderbare Retro-Aufnahmen, die uns Jahrzehnte zurück beamen. Dabei zeigt sich, dass Decimator 2 sich bestens für die Kombination mit anderen Retro-Plug-ins eignet.
Da hätten wir zunächst die Studer J37 aus dem Abbey Road Bundle (gibt es auch separat und immer wieder mal zu Sonderkonditionen bei Waves – mit drastischen Preisnachlässen).
bx_hybrid von Brainworx hat mit die besten Vintage-Style-Filter an Bord:
Die nächsten Kandidaten, Volume Shaper und Pan Shaper von Cableguys sind zwar keine Vintage-Plug-ins, simulieren hier aber zusätzliche Volumenschwankungen, die bei einem abgenutzten Tonband auftreten, sowie Ungleichmäßigkeiten im Panorama, was den Klag ebenfalls instabil wirken lässt. Das Ergebnis:
Und dann hätten wir da noch die Mikofone ihrer Majestät, der Dame also, die demnächst wieder über eine total autonome Insel wacht: Glückwunsch! Ändert aber nichts daran, dass die Mikros ein ausgezeichnetes Mittel für Retro-Radio-Klang sind – obwohl eigentlich gar kein Radio emuliert wurde.
Mit der Freeware Viny von Izotope können wir noch eins drauflegen:
Vinyl simuliert Schallplattenspieler verschiedener Generationen und mit unterschiedlich ausgeprägter Patina – von Nebengeräuschen der Elektronik über Staub auf den Vinylscheiben bis zu deutlichen Knacksern. Kürzlich hat es sogar eine Funktionserweiterung gegeben – wirklich selten, dass ein Hersteller seine Freeware um neue Funktionen ergänzt.
Vinyl macht auch ganz alleine Musik:
Toontracks String Machine bietet ebenfalls schöne Vorlagen für Retro-Sound. Die Streicher klingen ohne jegliches Dazutun bereits nach vergangenen Zeiten:
So klingt es mit Decimort:
Decimort kann also auch Wärme in den Klang bringen, nicht zuletzt dank der verschiedenen Filter.
Und hier die ganze Batterie an den zuvor bereits benutzten Plug-ins mit einem kleinen Überraschungseffekt am Ende:
Das war er Spin Down von Vinyl.
Er macht Spaß, mit dem Decimator zu arbeiten. Er erweist sich als äußerst vielseitig, wozu auch das klassische Multimodefilter mit zusätzlichem Band-Reject beiträgt, welches sowohl direkt hinter dem Eingang als auch als letzte Instanz vor dem Ausgang eingesetzt werden kann.
Ein Dry/Wet-Regler erlaubt das Beimischen des Eingangssignals, was sehr begrüßenswert ist, denn bei extremen Einstellungen produziert Decimator 2 nur noch Klangfragmente, die man dann wunderbar als Ornamente der besonderen Art dem Klang beimischen kann, hier in Form von Rumpeln, körnigem Rauschen und Dröhnen:
Presets
Abseits eigener Klangbasteleien (mit denen man aufgrund des Facettenreichtums so schnell nicht aufhören möchte) findet sich eine große Anzahl von Presets:
Der Browser bietet dabei auch eine Attribute-Funktion (wie in der Abbildung oben zu sehen). Eigene Presets können im Edit-Mode mit weiteren Tags versehen werden.
Diesen Drum Groove von Toontracks EZdrummer 2, EZX Post Rock …
… habe ich im Folgenden mit verschiedenen Presets verfremdet:
Behind the Wall:
Dirty Dark:
Glock `n spell
Hier habe ich die Snare und Kick des EZdrummers auf separate Ausgänge gelegt und eine Sequenz aus RobPapens SubBoomBass hinzugefügt:
Es sind also vier Decimort 2 Instanzen im Einsatz.
Ohne diese Instanzen hört es sich so an:
Ein letztes Beispiel, aufbauend auf dem Bisherigen: Es kommt die liebreizende Stimme von Mixie aus Soundiron Voices of Rage hinzu, eine unterbrochene Bass-Sequenz (Spectrasonics Trilian) sowie eine Gitarre aus Ueberschall Feedback Guitar, alles mit Decimort-Instanzen. Tipp: Richtig laut hören!
Zum Vergleich die Version ohne Decimort-Instanzen:
Weiterführendes
Die Audioqualität kann für den Playback Betrieb und das Rendering getrennt bestimmt werden:
Decimort 2 ist nicht nur automationsfähig: Per Rechtsklick auf einen Parameter öffnet sich ein MIDI-Lerndialog, über den man externe Controller für die Steuerung einbinden kann.
Das gilt auch für den Pre/Post-Schalter des Filters und das numerische Feld zur Einstellung der Bit-Tiefe.
Man kann auch gleich ganze Controller-Maps laden:
Hat man eine Konfiguration eingestellt und klickt versehentlich auf den Reload/Next-Button, so erscheint diese Warnmeldung:
Eine Undo/Redo-Funktion oder gar eine History der Bearbeitungsschritte gibt es allerdings nicht. Hat man zwischendurch eine Konfiguration eingestellt, die interessant erscheint, an der man aber noch weiter arbeiten möchte, so empfiehlt es sich, den Zwischenstatus als User-Preset abzuspeichern.
Das Interface ist nicht stufenlos skalierbar, es gibt aber zwei Größen …
… und damit wird man in der Regel auch gut zurechtkommen.
Per STG + Klick auf den Options/About-Taster gelangt man zur Herstellerseite und hier auch direkt zum Manual (Englisch und Französisch).
Fazit
Decimort 2 ist weit mehr als ein Bitcrusher und Samplefrequenz-Tool: Hier wird eine komplette AD/DA-Wandlung Bauteil für Bauteil nachgebildet, mit einigen Extras wie etwa Jitter, Dithering und Approximate Filter.
Decimort 2 kann sowohl den Sound früher Sampler nachahmen und für ein authentisches Retro-Klangdesign verwendet werden als auch als drastischer Verzerrer und Klangzerstörer eingesetzt werden. Man kann sich sozusagen Schritt für Schritt von einer subtilen digitalen Färbung bis zu den ersten AD-Wandlern und darüber hinaus rückwärts durch die Geschichte der Digitalisierung von Audio bewegen. Auf diesem Weg findet sich ein enormer Facettenreichtum digitaler Artefakte und erfrischend unperfekter Schaltungen. Auch Grenzbereiche wie etwa Auflösungen von 1 oder 2 Bit sind brauchbar, da mittels Dry/Wet-Regler die übriggebliebenen Klangfragmente mit dem Originalklang gemischt werden können. Richtig lebendig wird es, wenn man die Parameter, etwa Jitter oder die Frequenz/Resonanz des Multimodefilters automatisiert bzw. durch einen externen Controller steuert.
Decimort 2 verfügt bei aller Zerstörungskraft über eine exzellente Audioqualität: Mir ist noch kein Bitcrusher mit einem derart markanten, konturenreichen Klang begegnet. Es stehen verschiedene Qualitätsstufen zur Verfügung, doch auch im absolut livetauglichen und ressourcenschonenden Normal-Betrieb lassen Klang und Auflösung nichts zu wünschen übrig.
Mit Decimort 2 kann man aggressive Snares und Bassdrums gestalten, einer Stimme Rauheit verleihen, Streicher in Retro-Sample-Strings verwandelt, einem Beat oder einem Flächensound Artefakte wie Knistern und Knacken beimischen. Das Plug-in ist zudem eine gute Alternative für manche Verzerrer und kann eine braven Gitarre in ein kreischendes Monster verwandeln.
Der Preis ist angesichts der Qualität und Vielseitigkeit, die hier geboten wird, mehr als fair. Wer Retro-Sounds realisieren möchte, einen außergewöhnlichen Verzerrer sucht oder Klänge bis hin zu digitalen Fragmenten zerlegen möchte, sollte die Demo-Version unbedingt ausprobieren.
Testautor: Holger Obst
Plus:
- vielseitiger Sound vom Retro-Sampler bis zum harten Bitcrusher
- akribisch emulierter Resampler
- Ausstattung mit vielen Detailfunktionen
- erstklassige Audioqualität
- MIDI-Lernmodus
- Vielzahl gelungener Presets
- sehr niedriger Preis
Minus:
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Preis: 39.- EUR
System:
PC: Win 7, 8, 8.1, 10
Max: OS X 10.7 bis 10.11
Formate: AU, VST, AAX
32 und 64 Bit
(auch als Rack Extension für Reason erhältlich)