Test: Tone2 Icarus – 3D Wavetable Synthesizer

Verwendung eigener Samples / Resynthese

Zurück zu Init Patch und den Oszillatoren. Wir starten mit der Resynthese in einer Blanco-Vorlage. Dazu brauchen wir zunächst ein Sample.

Christmas Bells aus der Studio Box Mark II:

 

Das Sample war ein bisschen lang. Nun steht die Entscheidung an, ob es gekürzt oder in der Länge beibehalten werden soll. Auf jeden Fall sind zu viele Wellenformen erkannt worden.

Ich entscheide mich für das Kürzen. Ein kurzer Bick ins (erfreulicherweise deutschsprachige) Handbuch sagt mir, dass ich eigentlich alles falsch gemacht habe: Man sollte keine Melodien oder Percussion-Loops verwenden, besser monofone, einfache Sounds. Schließlich ist Icarus kein Sample-Player, es geht vielmehr um Wellenformen – und da reicht ja schon eine modifizierte Sinuswelle, um Großes zu bewirken (wie wir im Praxisteil noch sehen werden).

Trotzdem lässt sich mit dem Sample arbeiten. Es liegt nun in Oszillator 1 als Wavetable mit 256 Wellenformen. Davon lässt sich jede einzelne mit dem Stiftwerkzeug und einer Reihe von Zeichenvorlagen (eckige und runde Verlaufsformen) editieren.

Je mehr Wellenformen im Wavetable sind, desto aufwändiger wird es, den Klang mit den Zeichenwerkzeugen neu zu gestalten, denn das Malen an einer Wellenform ändert ja nur 1/256tel im Kontinuum des Wavetables. Unter Umständen sich solche „mikroskopischen Eingriffe“ kaum wahrnehmbar. Andererseits können Arbeiten an winzigen Details vorgenommen werden, wie es wenige Synthesizer bieten.

Mit Hilfe eines fraktalen Filters …

… dessen Cutoff ich über den Step-LFO steuere …

… was man wiederum über die Modulationsmatrix einrichtet …

… entsteht ein mysteriös-futuristischer Orbit-Sound:

 

Den speichere ich doch direkt mal unter „First Orbit“ in meinem eigenen Ordner ab (über File → save as)

Der folgende Sound ist aus einem Bassdrum-Sample unter Verwendung des Resynthese-Modus „Granulator“ entstanden. Dabei wird das Sample in winzige Fragmente zerlegt und als Klangwolke abgespielt. Auch hier erzeugte die Analyse mehr als 256 Wellenformen, sodass wieder gekürzt werden musste.

Die Dichte der Grains ändert man über die Stimmung des Oszillators (Octav-Regler), mit dem Morph-Regler deren Tonhöhe. LFO1 benutzt man, um durch die Wellenformen vorwärts und rückwärts zu surfen, wobei die Geschwindigkeit des LFO dazu führt, dass diese Bewegung schneller oder langsamer ausgeführt wird.

Bei hohen Frequenzen entsteht durch den LFO ein zusätzlicher Ton oder ein rhythmisches bis geräuschhaftes Pulsieren. Bei niedrigen LFO-Geschwindigkeiten ergibt sich eine Grundlage für langsame Klangevolutionen. Da sowohl die herkömmlichen LFOs als auch der Step-Modulator, der Arpeggiator und natürlich die Echos temposynchron verwendet werden können, kann man polyrhythmische Klangabläufe programmieren.

 

Experimentelle Klänge und Klangtexturen zwischen Tonalität und Atonalität sind mit Icarus schnell entworfen und lassen sich in viele Richtungen verbiegen.

Klassische additive Klänge sind auch möglich, denn eine additive Resynthese ist ebenfalls an Bord. Die Teiltöne lassen sich im Menü Edit/Spectrum einzeln zeichnen:

Erfahrungsgemäß klingt es hier erst einmal kalt, aber dabei äußerst präzise, nicht dünn, schwach oder gar ein wenig undeutlich wie bei manch anderem additiven Synthesizer. Mit den Filtern, Effekten wie etwa Sättigung und dem Einzeichnen eines Phasenverlauf verwandeln sich solche Klänge dann zusehens und werden Schritt für Schritt organischer.

Laut Tone2 erreicht Icarus im Vocoder-Modus seine höchste Klangqualität. Mehr als 500 Bänder und ultraschnelle Hüllkurven kommen hier zum Einsatz. LFO1 Speed definiert die Wiedergabegeschwindigkeit, Morph transponiert die Formanten.

Tone2 empfiehlt, den Vocoder mit einem Drumloop auszuprobieren. Dazu nehmen wir diesen Loops aus Toontrack EZdrummer, Post Rock Grooves:

 

Das Vocoder-Patch aus Icarus mit LFO- und Step-Modulationen, zwei Filtern und Effekten, zusammen mit dem Originalbeat:

 

Anschließend habe ich im Spectrum-Edit-Menü noch wahllos einige scharfe Resonanzen erzeugt, indem ich bei einigen Wellenformen Teiltöne extrem angehoben habe:

 

Der Klang fängt nun regelrecht an zu quietschen, etwas zu viel des Guten. Aber das Experiment verdeutlicht die hohe Audioqualität und Präzision des virtuellen Instruments.

Interessant ist die Funktion „Trim“ mit der man eine (oder mehrere aufeinander folgende) Wellenform(en) herausschneiden kann. Der Rest wird gelöscht. Solche brachialen Schnitte in den Wellenform-Kosmos können über Undo/Redo rückgängig gemacht werden.

Hier habe ich ein paar Wellenformen markiert, die ich zuvor nicht so extrem spektral bearbeitet habe:

Die selektierten Wellenformen erscheinen blau und rot. Daneben sieht man in grau die übertriebenen Quietscher mit ihren extremen Amplituden.

Nach dem Trim-Befehl reduziert sich die Auswahl auf die vier ausgewählten Wellenformen:

In Feld 5 habe ich über das Plus-Symbol (in der Mitte leerer Wellenform-Slots) eine weitere Wellenform angelegt und etwas planlos darin herumgemalt. Meine kleine Chaos-Welle fügt dem eher basslastigen Sound ein paar Details in den Höhen zu, wenn der LFO durch sie hindurchmorpht. Auch hier habe ich einige Teiltöne in Spectrum Edit angehoben, um Resonanzen zu erzeugen.

 

Easy Create Patch – Vocoder Poly Noise: „Es kling wie Flüstern“, meint Tone 2. Das muss ich unbedingt noch antesten. Die Resynthese und die Vocoder-Modelle sind auch vom Waveform-Edit-Menü aus erreichbar. Benutzt man sie von dort aus, bleiben die Modulationseinstellungen und Effekte erhalten.

Aus dem Drum-Beat wird so etwas wie Claps mit einem Maschinengeräusch dazwischen. Sehr eigen und sehr interessant:

 

Den Originalbeat habe ich beigemischt.

Die Filter habe ich noch gar nicht eingeschaltet. Das mache ich doch gleich mal. Einen der Fraktal-Filtertypen haben Sie ja schon kennengelernt. Dieses Mal entscheide ich mich für einen einfachen Peak und einen Low-Pass:

Dem Peak Medium spendiere ich zudem einen Vorverstärker (Drive) im Soft Clip-Modus.

 

Dass die Noises und Claps im Stereo-Pamorama so aktiv sind, liegt daran, dass ich den Oszillator verstimmt habe. Dabei werden verstimmte Klone im Panorama platziert.

Dieses mal möchte ich mein Patch aber abspeichern, bevor ich es in die falsche Richtung transformiere und nicht mehr zurückfinde. Über Save Patch aus dem File-Menü lande ich ärgerlicherweise in dem Ordner, aus dem ich zuvor den Beat geladen habe. Icarus merkt sich also nur den zuletzt benutzten Pfad. Will man ein Patch abspeichern, kann es passieren, dass man erst einmal quer durch die Ordnerhierarchie des Rechners navigieren muss.

System → Programme → Steinberg → VST Plugins → Icarus sounds

Der Browser selbst verfügt nämlich nicht über eine zielgerichtete Save-Funktion, allerdings tauchen die Eigenkreationen (auch in einem eigenen, nachträglich angelegten Ordner) dort auf.

 

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